Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

"Wird in Deutschland ausreichend im Bereich Antibiotika geforscht?"

Die Fernsehsendung „Report München“ ist für einen Beitrag ihrer Ausgabe vom 11. März 2014 der Frage nachgegangen, ob dauerhaft wirksame Antibiotika zur Bekämpfung von Infektionen zur Verfügung stehen. Eine Woche zuvor hat der vfa der Redaktion eine Reihe von Fragen beantwortet, um zu einer sachlichen Berichterstattung beizutragen. Hier stellen wir diese Fragen und Antworten allen Interessierten zur Verfügung.

Wird in Deutschland ausreichend im Bereich Antibiotika geforscht?

Antibiotika-Forschung hat in der Pharmaindustrie international wieder einen wachsenden Stellenwert: Derzeit betreiben nach unserer Kenntnis sieben Großunternehmen und mehr als 20 kleine und mittlere Unternehmen Forschung und Entwicklung für neue Antibiotika. Die Ergebnisse kommen der Medizin in Deutschland zu Gute unabhängig davon, ob sie in Deutschland oder andernorts gewonnen wurden.

In Deutschland arbeiten mehrere Firmen an neuen Antibiotika. Drei Unternehmen entwickeln sie auf Basis im eigenen Hause erfundener Wirkstoffe, nämlich Sanofi (Frankfurt a.M.; sie kooperiert dabei seit diesem Jahr auch mit der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft), AiCuris (Wuppertal) und Aviru (München). Bayer HealthCare entwickelt neue Antibiotika auf Basis vorhandener oder von Kooperationspartnern eingebrachter antibiotischer Wirkstoffe. In der Schweiz arbeitet neben mehreren kleineren Unternehmen wie Basilea Pharmaceutica, Actelion, Evolva und Polyphor seit 2014 auch die Firma Roche an neuen Antibiotika.

Wie beurteilen Sie die Zukunftsaussichten?

Die Aussichten auf wichtige neue Antibiotika in den nächsten Jahren sind gut. Nachdem im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts vergleichsweise wenige neue Antibiotika herauskamen, tut sich seit zwei Jahren einiges (vgl. www.vfa.de/neue-antibiotika):

  • Seit 2012 haben Firmen zwei neue Antibiotika gegen schwer therapierbaren Infektionen (u.a. durch MRSA und Clostridium difficile) herausgebracht.
  • In diesem Jahr rechnen wir mit der Einführung von zwei weiteren Antibiotika und zwei Medikamenten speziell gegen Tuberkulose. Eins der kommenden Antibiotika ist auch gegen gramnegative Bakterien einsetzbar; derzeit werden insbesondere neue Antibiotika gegen diese Erreger nachdrücklich verlangt.
  • Drei weitere Breitband-Antibiotika sind im europäischen Zulassungsverfahren.
  • Sieben weitere Breitband-Antibiotika und acht gegen spezi-elle Problemkeime gerichtete Antibiotika und Antikörperpräparate sind in der letzten Phase der klinischen Erprobung, der sogenannten Phase III.
  • Viele weitere Antibiotika befinden sich in früheren Stadien der klinischen Erprobung oder noch im Laborstadium.

Parallel dazu werden gegen bestimmte bakterielle Infektionen Impfstoffe entwickelt. Schon in den letzten Jahren sind Impfstoffe gegen Pneumokokken (verursachen u.a. Lungenentzündung) und verschiedene Meningokokken (verursachen u.a. Hirnhautentzündung) herausgekommen. In diesem Jahr könnte ein Impfstoff gegen Milzbrand kommen. Gearbeitet wird u.a. an Impfstoffen gegen Clostridium difficile und Tuberkulose.

Trotz dieser Aktivitäten wird es gegen bestimmte Erreger noch längere Zeit keine oder nicht genügend neue Antibiotika geben. Auch waren und sind bestimmte bakterielle Infektionen von jeher nur sehr schwer behandelbar. Hier sind deshalb verstärkte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen nötig!

Das ist aber aus wissenschaftlichen wie wirtschaftlichen Gründen kaum für eine Firma oder Forschergruppe im Alleingang zu bewältigen. Deshalb wurde 2012 das öffentlich-private Forschungsprogramm „NewDrugs4BadBugs“ (ND4BB) gestartet. 224 Millionen Euro können in diesem auf sieben Jahre angelegten Programm von akademischen Forschungsgruppen und Firmen gemeinsam aufgewendet werden. Mehrere Pharma-Unternehmen wirken daran mit. ND4BB ist Teil der europäischen Innovative Medicines Initiative (IMI) und wird wie alle IMI-Programme von EU und Pharmaindustrie gemeinsam finanziert.

ND4BB organisiert unter anderem einen umfassenden Informationsaustausch (insbesondere auch über gescheiterte Projekte) unter den beteiligten akademischen und industriellen Partnern, um die Chancen für die Neuentwicklung von Antibiotika zu erhöhen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Erfindung neuer Mittel gegen gramnegative Bakterien.

Müssten die Bestimmungen für die Erprobung und die Zulassung von Antibiotika geändert werden, damit wieder mehr entwickelt werden?

Die Zulassungsbehörden in den USA (FDA) und Europa (EMA) haben die Zulassungskriterien für Antibiotika in den letzten Jahren überarbeitet. Sie berücksichtigen nun angemessen, dass sich der Nutzen eines neuen Antibiotikums weniger bei der Bekämpfung von nicht-resistenten Bakterien als vielmehr bei der Bekämpfung der – selteneren – resistenten Bakterien zeigt. Damit ist ein sinnvoller Rahmen für die Entwicklung weiterer Antibiotika geschaffen worden.

Darin ist auch vorgesehen, dass in speziellen Fällen in Absprache mit der Zulassungsbehörde ein Antibiotikum mit erwiesener Wirksamkeit gegen einen Erreger nicht für jede einzelne Körperregion (Atemwege, Harnwege, Bauchraum, Haut) erneut getestet werden muss.

Wie beurteilen Sie die Unterstützung von Seiten der Politik?

Der wichtigste Beitrag, den die Politik leisten kann, ist auf einen verantwortungsvollen Gebrauch von Antibiotika hinzuarbeiten – und dies international. Denn wie schnell sich resistente Bakterienstämme etablieren ist wesentlich davon abhängig, wie Antibiotika eingesetzt werden: Fehlgebrauch in der Landwirtschaft – aber auch in der Humanmedizin – beschleunigen diesen natürlichen Prozess dramatisch!

Die Maßnahmen der EU ("Action Plan on Antimicrobial Resistance" von 2011) und Deutschlands („Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART)“ von 2008 und 2013) sind hier sehr sinnvoll.

Die EU-Politik fördert aber auch in sinnvoller Weise die Antibiotika-Forschung. Dazu zählt die Cofinanzierung des Programms „NewDrugs4BadBugs“ im Rahmen der öffentlich-privaten europäischen Innovative Medicines Initiative (IMI).

Das Bundesforschungsministerium BMBF fördert ergänzende Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsforschungsprogramms.

In den USA wurde ein Förderprogramm für die Entwicklung neuer Antibiotika gegen Problemkeime auf den Weg gebracht (GAIN), das Anreize für die Firmen in Form von beschleunigter Zulassung und verlängertem Unterlagenschutz bietet. Letzterer verlängert den Schutz vor Nachahmer-Herstellern, wenn neue Medikamente auf Basis schon länger zugelassener Wirkstoffe herauskommen.

Auch in der EU, im Rahmen von IMI, untersucht ein Projekt, welche Anreize in diesem Sinne am effektivsten sein könnten. Diese sollen dann in die politische Diskussion eingebracht werden.