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Verbandsklagerecht im Bereich des Tierschutzes

Ausgangslage

In regelmäßigem Abstand werden Forderungen nach Einführung einer Klagemöglichkeit für Tierschutzverbände erhoben. Entsprechende Initiativen beziehen sich sowohl auf die Bundes- als auch auf die Landesebene. Von der Einführung einer solchen Verbandsklagemöglichkeit versprechen sich die Befürworter die Beseitigung eines von ihnen konstatierten "Ungleichgewichts zwischen Tiernutzern und Tieren" und die verbesserte Verfolgung von Missständen.

Auf Bundesebene ist zuletzt 2004 eine Bundesratsinitiative Schleswig-Holsteins zur Einführung einer bundesweiten Verbandsklage gescheitert. Anfang 2010 hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen den Entwurf eines Tierschutzgesetzes vorgelegt, welcher u.a. auch ein Verbandsklagerecht vorsieht. Aktuell sind zudem in verschiedenen Bundesländern Anträge auf Einführung der Verbandsklage in die Landesparlamente eingebracht worden. Ein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände besteht derzeit nur im Bundesland Bremen.

Zusammenfassung

Als Sprachrohr der innovativen, forschenden Pharma-Unternehmen betrachtet der vfa Initiativen, ein Verbandsklagerecht im Bereich des Tierschutzes einzuführen, mit Sorge.

Die forschenden Pharma-Unternehmen halten hingegen eine engmaschige Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Tierschutzbestimmungen für notwendig und sinnvoll. Diese wird durch die zuständigen Behörden bereits jetzt angemessen und ausreichend gewährleistet.

Von einem Verbandsklagerecht würde keine Verbesserung für den Tierschutz ausgehen, da bereits das geltende bundesdeutsche Tierschutzrecht einen umfassenden Tierschutz und auch eine Einbindung der Tierschutzverbände bei der Genehmigung von Tierversuchen sowie beim Erlass von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften nach dem Tierschutzgesetz gewährleistet.

Die zu erwartende Klageflut von Verbänden der Tierversuchsgegner würde infolgedessen nicht zu mehr Tierschutz führen, dafür aber je nach Ausgestaltung des Klagerechts unweigerlich die Versuchsvorhaben verzögern beziehungsweise die spätere Verwendbarkeit der Ergebnisse in Frage stellen. Gerade aber für die mit Versuchsvorhaben verbundenen Forschungsaufwendungen und Investitionen haben Planungs- und Rechtssicherheit oberste Priorität. Die drohenden Konsequenzen würden eine schwere Hypothek für die deutschen Standorte im internationalen Wettstreit um Forschungsvorhaben darstellen und damit Arbeitsplätze von hoch qualifizierten Mitarbeitern unnötig gefährden.

vfa-Position

Verbandsklagerecht im Tierschutz ist falsches Signal für Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland

Die im vfa vertretenen forschenden Pharma-Unternehmen treten für ein hohes Maß an Tierschutz ein und fühlen sich verpflichtet, stets nach neuen möglichen Ersatzmethoden für Tierversuche zu suchen, die Zahl der Tierversuche zu verringern und die eingesetzten Tiere artgerecht zu halten sowie so weit wie möglich zu schonen.

Unabhängig davon stehen die in Deutschland forschende und produzierende chemisch-pharmazeutische Industrie sowie die Forschungseinrichtungen in einem weltweiten Wettbewerb. Dieser wird sowohl zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen in unterschiedlichen Ländern als auch als interne Konkurrenz zwischen den verschiedenen internationalen Standorten eines Unternehmens ausgetragen. Dabei spielt der Faktor Zeit und Rechtssicherheit bei behördlichen Entscheidungsprozessen eine entscheidende Rolle. Kalkulierbare und zügige Genehmigungsverfahren sowie gesellschaftliche Akzeptanz für Investitionen in Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionseinrichtungen sind entscheidende Faktoren für einen wettbewerbsfähigen Standort Deutschland. Maßnahmen, die hierbei zu zeitlichen Verzögerungen führen beziehungsweise deren Verwertbarkeit im Nachhinein in Frage stellen, könnten zukünftige Investitionen verhindern. Sie sind deshalb zwar nicht notwendigerweise von vornherein zu verwerfen, stehen jedoch unter einem erhöhten Rechtfertigungsdruck: Nur wenn sie wirklich erforderlich sind und echte Verbesserungen bringen, dürfen sie in Betracht kommen. Dies aber ist bei einem Verbandsklagerecht im Bereich des Tierschutzes gerade nicht der Fall, da die Belange des Tierschutzes auch bereits nach dem geltenden Recht gewahrt sind.

Das Tierschutzgesetz sichert bereits ohne Verbandsklage hohe Tierschutzstandards und die Beteiligung der Tierschutzverbände

Das deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) ist bereits heute eines der strengsten der Welt und berücksichtigt Tierschutzbelange umfassend - nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Beteiligung der Öffentlichkeit und von Tierschutzorganisationen in Verwaltungsverfahren.

Unter anderem sieht das Tierschutzgesetz in § 15 vor, dass die nach Landesrecht für den Tierschutz zuständigen Behörden zur Unterstützung ihrer Entscheidungen über die Genehmigung von Tierversuchen Tierschutzkommissionen berufen müssen. Mindestens ein Drittel der Kommissionsmitglieder muss aus Vorschlagslisten der Tierschutzorganisationen ausgewählt werden. Die Tierschutzkommissionen werden von den Behörden über Genehmigungsverfahren nach dem Tierschutzgesetz informiert und haben zu jedem einzelnen Genehmigungsverfahren die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Nach § 16b TierSchG beruft das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ferner eine Tierschutzkommission, die vor dem Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach dem Tierschutzgesetz anzuhören ist und die das Ministerium berät. Die Tierschutzkommission wird regelmäßig auch bei Genehmigungen von Tierversuchsvorhaben in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung informiert (§ 15a TierSchG). In der Tierschutzkommission sind - ebenfalls wie in den nach Landesrecht zu berufenen Tierschutzkommissionen - ein Drittel Mitglieder von Tierschutzorganisationen.

Zur Überwachung der Einhaltung der formellen und materiellen Vorschriften des Tierschutzgesetzes sind den zuständigen Behörden darüber hinaus nach § 16 TierSchG umfangreiche Aufsichtsbefugnisse eingeräumt. Hierzu zählen u.a. Auskunfts- und Einsichtnahmerechte in Unterlagen, das Recht, Geschäftsräume, sonstige Einrichtungen und Wohnräume zu betreten, sowie das Recht, Tiere zu untersuchen und Proben zu nehmen. Ferner besitzen die Überwachungsbehörden nach § 16a TierSchG die Befugnis, Anordnungen zu erlassen, um Verstöße gegen das TierSchG abzustellen bzw. zukünftige Verstöße zu verhindern. Ergänzt wird diese umfassende behördliche Überwachung durch Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände, die Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sanktionieren.

Im Rahmen der eigenverantwortlichen Überwachung von Einrichtungen, in denen Tierversuche an Wirbeltieren durchgeführt werden, sieht das Tierschutzgesetz darüber hinausgehend vor, dass ein oder mehrere Tierschutzbeauftragte bestellt werden müssen (§ 8b TierSchG). Die - weisungsfreien - Tierschutzbeauftragten sind u.a. verpflichtet, auf die Einhaltung von Vorschriften im Interesse des Tierschutzes zu achten, die Einrichtung und die Personen, die Tierversuche durchführen, zu beraten, zu jedem Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchs Stellung zu nehmen sowie innerbetrieblich auf die Entwicklung und Einführung von Verfahren zur Vermeidung oder Beschränkung von Tierversuchen hinzuwirken.

Aufgrund dieser umfangreichen Überwachungsverfahren und Beteiligungsrechte bei der Genehmigung von Tierversuchsvorhaben besteht kein Bedarf für ein Verbandsklagerecht. Vielmehr wird durch die Tierschutzkommissionen und die Expertenbeteiligung in den Tierversuchsgenehmigungsverfahren eine effektive Arbeit der Tierschutzorganisationen gewährleistet. Nach dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung sind die Behörden im Rahmen des Vollzuges des Tierschutzgesetzes umfassend an Gesetz und Recht gebunden und müssen von Amts wegen alle Tierschutzbelange beachten und für einen entsprechenden Verwaltungsvollzug sorgen.

Rechtsordnung sieht Popularklagen nur in Ausnahmefällen vor

Das deutsche Verwaltungsprozessrecht billigt grundsätzlich nur demjenigen ein Klagerecht zu, der geltend machen kann, durch eine Verwaltungshandlung oder ein Unterlassen einer Verwaltungshandlung "in seinen Rechten" verletzt zu sein. Damit wird verhindert, dass jedermann vor den Verwaltungsgerichten klagen kann, ohne dass er in eigenen Rechten betroffen ist. Mit diesem Ausschluss der Popularklage sollen die Gerichte im Interesse eines funktionierenden Rechtsschutzsystems vor einer überbordenden Prozessflut und querulatorischen Klagen geschützt werden.

Von diesem Grundsatz des Ausschlusses der Popularklage soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, wie sich u.a. aus § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergibt. Danach kann bei verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen nur in gesetzlich besonders geregelten Fällen auf das Erfordernis der Verletzung von eigenen Rechten verzichtet werden. Eine Erweiterung von objektiven Klagebefugnissen - und damit einhergehend die Zunahme von verwaltungsgerichtlichen Verfahren - sollte daher nur erfolgen, wenn dies tatsächlich im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes sinnvoll und erforderlich ist. Aufgrund der oben beschriebenen Beteiligungsrechte der Tierschutzorganisationen in Tierschutzkommissionen und Genehmigungsverfahren nach dem Tierschutzgesetz sowie der behördlichen Kontrollmechanismen ist sichergestellt, dass die Tierschutzbelange umfassend berücksichtigt werden und der Verwaltungsvollzug funktioniert. Dies belegt auch die Genehmigungspraxis der Genehmigungsbehörden bei Tierversuchen, die regelmäßig durch die Verwaltungsgerichte bestätigt wird. Die Einführung eines Verbandsklagerechts im Bereich des Tierschutzes ist daher sachlich nicht zu rechtfertigen.

In der Diskussion um die mit einer Verbandsklage zu erwartenden Nachteile wird regelmäßig betont, eine Klageflut drohe nicht, weil eine solche auch bei der Einführung des Verbandsklagerechts im Naturschutz ausgeblieben sei. Eine solche Argumentation übersieht nach Auffassung des vfa, dass die rechtliche Situation nicht vergleichbar ist: Im Bereich des Naturschutzes gab es bei den dortigen Umweltkonflikten raumbeanspruchender Art stets auch betroffene Bürger, die sich gegen Straßen, Anlagen etc. gerichtlich zur Wehr gesetzt haben. Das Klagerecht für Naturschutzverbände reihte sich in diese bestehenden Klagerechte ein. Anders wäre es bei einem Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände: Hier soll ja gerade ein Klagerecht geschaffen werden, wo bisher eine Klagemöglichkeit in dieser Form nicht besteht. Deshalb wäre im Vergleich zum Ist-Zustand mit einer ganz erheblichen Zunahme von Klagen zu rechnen.

Verhältnis von Nutzen zu Aufwand beachten

Um das Argument der Verzögerung von Versuchsvorhaben durch Klagen zu entkräften, wird in der jüngeren Vergangenheit verstärkt die Feststellungsklage als das vermeintlich mildere Mittel zur nachträglichen Überprüfung der behördlichen Genehmigungsentscheidung in die Diskussion eingebracht und mit dem Erkenntnisgewinn für zukünftige Versuchsanträge begründet. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass das Urteil eines Verwaltungsgerichts nur die unmittelbaren Verfahrensbeteiligten bezogen auf den konkreten Verfahrensgegenstand bindet. Bei zukünftigem tierschutzrechtlichem Verwaltungshandeln wäre folglich die Behörde nicht an die Rechtsauffassung des Gerichts gebunden. Darüber hinaus sind die möglichen Ausgangsfragen und Parameter jedes Tierversuchs so individuell, dass schon praktisch – wenn überhaupt – nur in sehr begrenztem Umfang Erkenntnisse aus dem entschiedenen Verfahren abgeleitet werden können. Die Durchführung von Doppel- oder Wiederholungsversuchen ist auf Grundlage von § 8 TierSchG ohnehin nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig.

Darüber hinaus besteht für die Genehmigungsbehörde schon heute auf Grundlage der verwaltungsrechtlichen Vorgaben die Möglichkeit, im Rahmen ihres Ermessens in Ausnahmefällen Verwaltungsakte auch für die Vergangenheit aufzuheben, sofern sie aufgrund einer Neubewertung oder durch neue Erkenntnisse zu einem abweichenden Ergebnis ihres ursprünglichen Entscheidungsprozesses kommt. Daher wäre im Ergebnis der praktische Nutzen einer Feststellungsklage in diesem Bereich minimal. Stattdessen würden die knappen Ressourcen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in unnötiger Weise weiter belastet und die für die forschenden Pharma-Unternehmen unabdingbare Verlässlichkeit behördlicher Entscheidungsprozesse in Frage gestellt.

Tierversuche sind auch in Zukunft unverzichtbar für innovative, gut verträgliche und wirksame Arzneimittel

Neue wirksame und sichere Arzneimittel sind auch in Zukunft unverzichtbar. Trotz unbestrittener Erfolge bei der Heilung von Krankheiten durch den Einsatz von Medikamenten können bis heute lediglich rund ein Drittel der 30.000 bekannten Krankheiten adäquat behandelt werden. Die im vfa vertretenen Unternehmen stellen sich der Herausforderung, bisher unzureichende Therapiemöglichkeiten zu verbessern und auch für Patienten mit bislang nicht therapierbaren Erkrankungen nach neuen Heilungsmöglichkeiten zu suchen. Dabei sind Tierversuche unerlässlich.

Ebenso aber bekennen wir uns zum Tierschutz und setzen uns bei den für unsere Forschung notwendigen Tierversuchen weltweit für eine Verringerung der Versuchstierzahlen sowie eine artgerechte Tierhaltung und möglichst schonende Durchführung von Tierversuchen ein. Beide Faktoren sind im Übrigen Grundvoraussetzungen für verwertbare Forschungsergebnisse. Eine sehr konkrete und erfolgreiche Maßnahme zur ständigen Verbesserung des Tierschutzes ist die strikte Beachtung der "3 R-Regel" (Reduce, Refine, Replace) durch die forschende Industrie. "Reduce" bedeutet ein Vermindern der Tier-versuchszahlen, wann immer dies möglich ist. "Refine" steht für die Optimierung der angewandten Methoden zum möglichst belastungsarmen Versuch und "Replace" für den Ersatz von Tierversuchen durch alternative Methoden.

Um die Sicherheit der Arzneimittel zu gewährleisten und eine potenzielle Gefährdung von Patienten weitestgehend aus-zuschließen, sind jedoch auch in Zukunft Tierversuche unerlässlich. Gerade die pharmazeutische Industrie ist existenziell darauf angewiesen. Ca. 86 % aller im pharmazeutischen Bereich durchgeführten Tierversuche sind zudem gesetzlich vorgeschrieben. Die übrigen Versuche sind notwendig, um neue Therapieansätze oder grundlegende Zusammenhänge erforschen zu können.

Auch bei der Entwicklung und Einführung neuer chemischer Stoffe und Produkte sind im Interesse des Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzes umfassende Sicherheitsprüfungen, beispielsweise nach dem Chemikaliengesetz und dem Pflanzenschutzgesetz erforderlich, für die Tierversuche zwingend vorgeschrieben sind, um Gefahren für Menschen zu senken.

Mit der Einführung eines durch Tierschutzbelange nicht geforderten Verbandsklagerechts droht eine Fülle von verwaltungs-gerichtlichen Streitigkeiten und damit - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens - eine ggf. jahrelange Verzögerung von Tierversuchsvorhaben beziehungsweise Rechtsunsicherheit über die Verwertbarkeit der gefundenen Ergebnisse. Dies widerspricht Verbraucher- und Patienteninteressen und erschwert den therapeutischen Fortschritt.