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#MacroScopePharma 12/22

Der Economic Policy Brief des vfa



Produktivität: Deutschland verliert an Boden



Der internationale Standortwettbewerb wird hart geführt: Die USA locken Hightech-Unternehmen mit Subventionen und attraktiven Standortbedingungen. China etabliert globale Logistik- und Wertschöpfungsstrukturen. Europa hingegen taumelt von Krise zu Krise. Vor allem Deutschland verliert an Boden bei der Wettbewerbsfähigkeit. Es ist Zeit, eine Industriestrategie zu verfolgen, die auf hochproduktive Branchen setzt.

Produktivität als Schlüssel künftigen Wachstums

In anderen – auch weniger entwickelten Ländern – wurde die Produktion automatisiert, die Kapitalintensität erhöht und damit das Produktivitätswachstum angeschoben. Gerade für Deutschland ist die aktuelle Krise in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung.(1) Der Kapitalstock – also die Maschinen und Anlagen der Volkswirtschaft – werden durch die massiven Veränderungen der Energie- und Rohstoffpreise teilweise entwertet und müssen durch neue Anlagen ersetzt werden. Andere Länder, deren Geschäftsmodelle weniger auf fossile Energien ausgerichtet sind oder in denen die Energieverfügbarkeit gewährleistet ist, können ihre Produktionskapazitäten derweil weiter ausbauen oder modernisieren. Gegenüber den wichtigen Wettbewerbern verliert Deutschland bei der Produktivität seit 2017 sichtbar an Boden (Abbildung 2, links).(2)

Allerdings ist der Standort hierzulande bereits seit geraumer Zeit in Bedrängnis, auch weil die Modernität des Kapitalstocks – physisch wie geistig – immer weiter zurückfällt.(3) Zwischen 2010 und 2017 verlief die Entwicklung in den großen Wirtschaftsräumen noch größtenteils im Gleichschritt. Auch wenn Deutschland noch zu den produktivsten Volkswirtschaften der Welt zählt (Abbildung 2, rechts), wird die Luft gegenüber der Konkurrenz sichtbar dünner. Allen voran ziehen die USA mit hoher Geschwindigkeit davon.

Ohnehin wird sich der Industriestandort Deutschland in den kommenden Jahren wegen der Demografie und der jetzt beschleunigten Energiewende sichtbar verändern müssen. Damit dieser Wandel schnell und ohne unnötige Verwerfungen vollzogen wird, ist es umso wichtiger, jetzt eine an der Produktivitätsentwicklung ausgerichtete Industriepolitik zu verfolgen. Diese sollte gleichzeitig die veränderte geopolitische Lage berücksichtigen. Einseitige Abhängigkeiten – wie beispielsweise bei Energielieferungen Russlands – fanden bislang zu wenig Eingang in industriepolitischen Erwägungen.



Industrie als Motor

Zentral für die Produktivitätsentwicklung ist in Deutschland die Industrie. Während in den Dienstleistungsbereichen seit der Wiedervereinigung keine nennenswerten Produktivitätssteigerungen zu verzeichnen sind, ist das verarbeitende Gewerbe der Motor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Abbildung 3, links). Dies liegt daran, dass hier ein Großteil der gewerblichen Investitionen erfolgt und wesentliche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ihren Ursprung in der Industrie haben. Gerade bei den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ist die pharmazeutische Industrie einer der größten Investoren innerhalb des verarbeitenden Gewerbes. Rund zehn Prozent aller Aufwendungen in Forschung und Entwicklung der Industrie werden von der Pharmabranche gestemmt.(4)



Diese Produktivitätszuwächse betrugen im Jahrzehnt vor der Coronakrise, also zwischen 2010 und 2019, im Durchschnitt drei Prozent. Seit 2017 sinkt die Produktivität in der deutschen Industrie insgesamt – allen voran in den großen Wirtschaftszweigen: Dem Maschinen- beziehungsweise Fahrzeugbau, der Metall- sowie der Elektro- oder auch in der chemischen Industrie. Dies erklärt auch, weshalb die industrielle Wertschöpfung bereits seit 2017 schwächelt.(5)

Pharma mit hohem Produktivitätsniveau, aber geringem Zuwachs

Die Pharmaindustrie ist eine hochproduktive Branche. Dies liegt an der hohen Kapital- und Wissensintensität, aber auch am hohen Innovationsgrad. Die Produktivität der Pharma-Branche ist doppelt so hoch wie der Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes oder beispielsweise dem Maschinenbau. Sie liegt aber auch signifikant höher als in der Automobilindustrie.

Sorge bereitet, dass die Produktivität der pharmazeutischen Industrie im Trend zwar stabil ist, seit gut zehn Jahren allerdings auf der Stelle tritt. Dies ist auch das Resultat massiver Einschnitte in der Finanzierung von Arzneimitteln im öffentlichen Gesundheitswesen seit 2010. Der damals eingeführte Herstellerabschlag wirkte wie eine zusätzliche Besteuerung der Erträge, was für sich genommen die Investitionsspielräume der Unternehmen einschränkt. Studien belegen, dass höhere (steuerliche) Belastungen Investitionen in physisches Kapital(6) , aber auch in Forschung und Entwicklung(7) erheblich belasten.

Die Wertschöpfung konnte die Pharmaindustrie dennoch ausweiten – und zwar um gut zwei Prozent pro Jahr. Dies ging mit einem kräftigen Beschäftigungsaufbau einher: Die Zahl der Pharma-Mitarbeiter:innen stieg von 119.000 in 2009 auf 146.000 in 2019 an – ein Plus von jährlich gut zwei Prozent. Aber auch hier zeigt sich: Branchen mit einem hohen Produktivitätszuwachs vollziehen auch ein stärkeres Wachstum in der Wertschöpfung:


Industriepolitik zukunftsweisend ausrichten

Für den anstehenden strukturellen Wandel braucht es klare Strategien und Weichenstellungen. Künftig sind hochproduktive, wissensintensive und umweltfreundliche Industrien gefragt, aber auch Wirtschaftszweige, deren Innovationskraft weit in andere Bereiche ausstrahlt. Es braucht neue Schlüsselindustrien, um anderen Wirtschaftsbereichen, die auf traditionelle Industriestrukturen ausgerichtet sind, eine neue Perspektive zu öffnen.

Dies kann nur gelingen, wenn eine Neuausrichtung der Industriepolitik erfolgt. Sie sollte Vorfahrt für Hightech-Branchen gewähren, denn nur so kann die Produktivität in einem Umfang gesteigert werden, dass die Folgen des demografischen Wandels handhabbar werden. Dazu braucht es allerdings die richtigen Weichenstellungen: Dies beginnt mit der Ausbildung hoch qualifizierter Arbeitskräfte, einer offenen Zuwanderungspolitik und einer deutlichen Ausweitung der Budgets für Universitäten und öffentlicher Forschungseinrichtungen. Auch ist ein Umfeld notwendig, dass private Forschung und Entwicklung auf Grundlage großer Datenmengen ermöglicht und die vielfach umfangreich vorhandenen Daten für die Forschung zugänglich macht.

In der Förderung vielversprechender Technologien und deren ersten industriellen Anwendung sind mutigere Schritte notwendig, auch um im internationalen Standortwettbewerb bestehen zu können. Das Instrument eines „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) ist dafür grundsätzlich geeignet, allerdings auch mit hohen bürokratischen Hürden verbunden.

Zu guter Letzt müssen Unternehmen auch die Möglichkeit bekommen, in die Zukunft des Standorts zu investieren. Dies bedeutet im Speziellen für die pharmazeutische Industrie, dass gesundheitspolitische Entscheidungen nicht losgelöst von wirtschaftspolitischen Strategien getroffen werden sollten. Weitreichende gesundheitspolitische Entscheidungen wie Zwangsrabatte oder grundlegende Veränderungen des Preisfindungssystems wie jüngst beschlossen haben schmerzhafte Anpassungen bei Investitionen, Beschäftigung und Forschungsaktivitäten zur Folge. Dies wirft die Industrie in ihrer Entwicklung erheblich zurück und verschlechtert langfristig ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Fußnoten:

(1) Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2022), Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten geopolitischer Veränderungen, Nationaler Produktivitätsbericht 2022, online verfügbar.

(2) Die Coronajahre 2020/21 werden hier nicht betrachtet. Die Pro-Kopf-Produktivität ist international in diesem Zeitraum durch unterschiedliche Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nur schwer vergleichbar. So kam es etwa in den USA in den von Lockdowns betroffenen Bereichen wie dem Gastgewerbe verstärkt zu Entlassungen, während die Beschäftigten in Deutschland vor allem in Kurzarbeit waren. Sie konnten somit zwar entsprechend wenig zur Wirtschaftsleistung beitragen, blieben aber weiterhin beschäftigt, was die ausgewiesene Produktivität nach unten verzerrt hat.

(3) Belitz, H., & Gornig, M. (2019). Deutsche Wirtschaft muss mehr in ihr Wissenskapital investieren. DIW Wochenbericht, 86(31), 527-534, online verfügbar.

(4) Michelsen, C. (2022), Innovationen als Grundlage für mehr Wachstum, MacroScope Pharma 04/22, online verfügbar.

(5) Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2019). Industrie in der Rezession: Wachstumskräfte schwinden, online verfügbar.

(6) Michelsen, C. (2022), Geringe Investitionen belasten Deutschlands Wachstum, MacroScope Pharma 06/22, online verfügbar.

(7) Lichter, A., Löffler, M., Isphording, I. E., Nguyen, T. V., Poege, F., & Siegloch, S. (2021). Profit taxation, R&D spending, and innova-tion. ZEW-Centre for European Economic Research Discussion Paper, (21-080), online verfügbar.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de