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Tropenkrankheiten - Ein Testfeld für Gesundheitssysteme

Bis 2030 will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vernachlässigte Tropenkrankheiten (NTDs) weitgehend eindämmen. Wie das gelingen kann, wurde jüngst auf dem World Health Summit in Berlin diskutiert.

Lange standen sie im Schatten der "Großen Drei", den Infektionskrankheiten Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids. Doch seit einigen Jahren rücken die vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases, kurz NTDs) – weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen darunter – vermehrt ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Es geht um ansteckende Krankheiten wie Lepra, Bilharziose und Elephantiasis, die häufig in abgelegenen Gegenden von Entwicklungs- und Schwellenländern vorkommen und dort vor allem die ärmsten Menschen treffen. Zwar fordern die NTDs weniger Todesopfer als die drei großen Erkrankungen, doch unbehandelt führen sie oft zu schweren Behinderungen, körperlicher Entstellung, sozialer Benachteiligung und noch größerer Armut – ein Teufelskreis.

Mwelecele Malecela auf einem Panel sitzend im Gespräch. Der Fokus liegt auf ihr. Links daneben, ein Mann im blauen Anzug hört zu. Im Vordergrund, rechts neben ihr, aber unscharf, zwei weitere Herren im Anzug, ebenfalls zuhörend.

Mwelecele Malecela, die Direktorin des WHO-Departments zur Kontrolle der NTDs beim WHS 2019.

Welcher Ansatz ist der beste?

Seit vielen Jahren wird durch viele Akteure versucht, NTDs zurückzudrängen. Weil isolierte Ansätze nicht zu einem zufriedenstellenden Erfolg geführt haben, setzen nationale und internationale Organisationen inzwischen vermehrt auf integrierte Programme, die vernachlässigte Tropenkrankheiten im Kontext armseliger Lebensverhältnisse sehen – mit unzureichender Gesundheitsversorgung und Mangelernährung, beschränktem Zugang zu sauberem Wasser und fehlender Hygiene. Diesem Leitgedanken folgte auch der Workshop „Neglected Tropical Diseases and Inclusion under the Umbrella of Universal Health Coverage“ (Vernachlässigte Tropenkrankheiten und Wiedereingliederung unter dem Dach einer universellen Gesundheitsversorgung). Im Rahmen des World Health Summit (WHS) im Oktober 2019 in Berlin wurde der Workshop vom Deutschen Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) organisiert und zog Gesundheitsexperten aus vielen Ländern an. Das DNTDs wird auch durch die forschenden Pharma-Unternehmen unterstützt.

Carsten Köhler und Achim Hörauf sitzen auf einem Panel, Köhler ist im Fokus.Ein Meilenstein sei die Aufnahme der NTD-Bekämpfung in den Katalog nachhaltiger Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, sagte Achim Hörauf, Direktor am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie der Universität Bonn (Interview: „Fünf Fragen" an Prof. Hörauf). Der Mikrobiologe leitete den Workshop zusammen mit Carsten Köhler vom Tropenmedizinischen Institut der Universität Tübingen. Von der UN-Charta erhoffen sich die beiden Wissenschaftler mehr Verbindlichkeit im Vorgehen gegen NTDs – schließlich verpflichteten sich alle Mitgliedsstaaten, die anspruchsvollen Ziele in ihren Ländern umsetzen.

Große Ziele bis 2030 - Wie sieht der Fahrplan aus?

Bis 2030 soll es gelingen, die Zahl der behandlungsbedürftigen NTD-Betroffenen weltweit um 90 Prozent zu senken, sagte Mwelecele Malecela, die Direktorin des WHO-Departments zur Kontrolle vernachlässigter Tropenkrankheiten. So steht es in der „NTD 2030 Roadmap“, die im Mai kommenden Jahres verabschiedet werden soll. In hundert Ländern, so ein weiteres Ziel des neuen WHO-Fahrplans, wird 2030 mindestens eine vernachlässigte Tropenkrankheit ausgerottet sein. Und wenigstens zwei NTDs sollen bis dahin ganz vom Erdball verschwunden sein. Erreichen ließen sich die Ziele nur, wenn die Staaten Gesundheitsleistungen in ausreichender Qualität für alle Bürger zur Verfügung stellten und für die Inklusion Betroffener sorgten, sagte Malecela. Insofern sei die neue Initiative gegen NTDs ein Lackmustest für die Gesundheitssysteme in den hauptsächlich betroffenen Weltregionen.

In Subsahara-Afrika gebe es inzwischen erstklassige Kliniken – zum Beispiel für die aufstrebende Mittelschicht in Ghana, berichtete Achim Hörauf. „An vernachlässigten Tropenkrankheiten leiden dort aber hauptsächlich die Farmer in den ländlichen Gebieten; die Wohlhabenden haben das Problem nicht mehr“ – hier seien die Länderregierungen gefordert, für eine faire Behandlung zu sorgen.

Prioritäten setzen, digitale Technik nutzen!

Louise Kelly-Hope steht an einem Pult. Vor ihr ein aufgeklappter Laptop und zwei Mikrofone. Links ist ein Roll-Up des DNTDs e.V. zu sehen.
Hilfsleistungen stärker auf die Bedürfnisse einzelner Länder auszurichten und dabei Prioritäten zu setzen – dafür plädierte Louise Kelly-Hope von der Liverpool School of Tropical Medicine. Sie ermunterte darüber hinaus zur verstärkten Nutzung digitaler Mobilgeräte zur Sammlung von Gesundheitsdaten, wie zum Beispiel Patientenzahlen oder Therapieverläufe.


Yao Sodahlon sitz auf einem Panel. Im Hintergrund eine blaue Fläche mit unscharfer weißer Schrift.Unterstützung für Menschen mit NTDs kommt in vielen Weltregionen von Nichtregierungsorganisationen. Dazu zählen auch die beiden beim Workshop vertretenen deutschen Hilfswerke DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe sowie die Christoffel-Blindenmission (CBM). Um die Flussblindheit, eine Wurmkrankheit, zu bekämpfen, arbeitet CBM mit dem Mectizan Donation Program zusammen, in dessen Rahmen das Arzneimittel Ivermectin (Mectizan) in entlegene Dörfer Afrikas und Lateinamerikas gebracht wird. Hier stellt ein forschendes Pharma-Unternehmen die Präparate unentgeltlich zur Verfügung. „Durch starke Partnerschaften wie im Mectizan-Programm lässt sich das Ziel erreichen, bis 2030 die Krankheitslast um 90 Prozent zu senken“, sagte dessen Direktor Yao Sodahlon in Berlin.

Welche Rolle spielen lokale Ressourcen?

Sahayarani Antony steht an einem Pult. Vor ihr ein aufgeklappter Laptop und zwei Mikrofone. Links ist ein Roll-Up des DNTDs e.V. zu sehen.Wie wichtig einheimische Helfer beim Einsatz gegen NTDs sind, schilderte Sahayarani Antony vom Fachbereich Soziales der DAHW-Zentrale in Würzburg. Sie berichtete von Freiwilligen, die in Afrika betroffene Familien besuchen, Amputierten den Umgang mit Prothesen beibringen und Selbsthilfegruppen ins Leben rufen. Oft handele es sich dabei um Menschen, die selbst mit den Folgen einer Tropenkrankheit leben müssen: „Sie sind starke Anwälte für die Inklusion betroffener Mitmenschen in die Gemeinschaft“, sagte Antony in Berlin. Eine zentrale Rolle spielten dabei zudem die traditionellen Heiler und Dorfältesten: Dass sie unbedingt einbezogen werden sollten, wurde später auch in der Diskussion mit den Workshop-Teilnehmern betont.

Kirsty Thompson steht an einem Pult. Vor ihr ein aufgeklappter Laptop und zwei Mikrofone. Links ist ein Roll-Up des DNTDs e.V. zu sehen.Im Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten sei es wichtig, niemanden zurückzulassen, sagte Kirsty Thompson von CBM Australien. „Aber schaffen wir das wirklich oder kommen wir nur bis zu denen, die für uns gut erreichbar sind?“ In Zukunft gehe es darum, mehr über Betroffene am äußersten Rand des Gemeinwesens zu erfahren und ihnen zusammen mit zivilgesellschaftlichen Partnern zu helfen.

In der thematisch vielfältigen Abschlussdiskussion wiesen Workshop-Teilnehmer etwa auf Video-Fortbildungen für Ärzte zum Thema NTDs hin. Eine großangelegte Befragung unter Behinderten in Ghana wurde vorgestellt und die WHO-Repräsentantin Mwelecele Malecela kündigte an: „Die Ziele für 2030 stehen und wir werden alle zwei Jahre prüfen, wie weit die einzelnen Länder vorangekommen sind.“