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Gemeinsame Kritik der Pharmaverbände am Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform

Yzer: "Gesetzentwurf dringend verbesserungsbedürftig"Einen Tag vor der Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Arzneimittelsektor haben die vier Pharmaverbände erstmals gemeinsam öffentliche Kritik an der Gesundheitsreform geäußert. Der Gesetzentwurf sei dringend verbesserungswürdig sagen BAH, BPI, ProGenerika und der VFA in einer am 12. November veröffentlichten Gemeinsamen Erklärung. Die beteiligten Verbände sind sich darin einig, dass die gesundheitspolitischen Pläne der großen Koalition gravierende Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung und die Standortbedingungen für die gesamte pharmazeutische Industrie in Deutschland haben.

Das geplante GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sorgt, in krassem Widerspruch zu seinem Namen, nicht für Deregulierung, sondern erhöht die Regelungsdichte im Arzneimittelsektor weiter. In der Konsequenz steigen die administrativen Belastungen der Unternehmen und ihr Engagement in Forschung und Entwicklung wird beeinträchtigt. Auch gesundheitspolitisch sind die neuerlichen Regulierungen falsch, weil sie die Ineffizienzen des GKV-Systems nicht beheben können.

Als Folge dieser verfehlten Politik befürchten die vier Verbände steigende Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen und dadurch bedingt steigende Lohnzusatzkosten. Dies werde den Standort Deutschland weiter schwächen und direkte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben.

Mit besonderer Sorge sehen die Verbände die vorgesehenen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung, zu Erstattungshöchstbeträgen, zur Arzneimittelverordnung mit Zweitmeinung, zu Arzneimittelverordnungsdaten, zur Auseinzelung und zu Rabattverträgen.

Alle genannten Verbände sind der Meinung, dass im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch ein großer Korrekturbedarf besteht. Sie rufen das Parlament auf, wieder zu den Eckpunkten zurückzukehren, die am Anfang der Diskussion in der großen Koalition standen.


Wortlaut der gemeinsamen Erklärung:

- Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V.
- Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V.
- Pro Generika e. V.
- Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V.

Gesundheitsreform als Chance nutzen - Gesetzentwurf dringend verbesserungsbedürftig

Das so genannte Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG) leistet keinen Beitrag zur Deregulierung der komplexen Regelungsdichte des Arzneimittelmarktes. Die Vielfalt der nebeneinander bestehenden Regulierungsinstrumente wird durch die geplanten Maßnahmen in keiner Weise abgebaut. In immer kürzeren Abständen kommen vielmehr weitere Instrumente hinzu. In der Konsequenz steigen einerseits die administrativen Belastungen der Unternehmen und andererseits wird das Engagement der Unternehmen in Forschung und Entwicklung beeinträchtigt. Insgesamt betrachtet ist ein Grad an Komplexität erreicht, der die Entwicklungspotenziale der Industrie am Standort Deutschland behindert und ihm abträglich ist.

Gesundheitspolitisch ist die Überregulierung des Arzneimittelmarktes falsch, weil die Ineffizienzen des GKV-Systems dadurch nicht behoben werden. Aus ordnungspolitischer Perspektive ist festzustellen, dass die pharmazeutische Industrie durch vielfältige einschränkende Detailregelungen belastet wird. Einzelne Regelungen des WSG überschreiten zudem den Horizont des konsentierten Eckpunktepapiers.

Der geplante Umbau des Systems der gesetzlichen Krankenkassen lässt steigende Beitragssätze erwarten. Dadurch werden die Lohnzusatzkosten weiter nach oben getrieben, was den Standort Deutschland zusätzlich schwächt. Die Reform verfehlt klar das Ziel, die Beiträge zur Krankenversicherung vom Lohnbezug zu entkoppeln. Gesundheitspolitische Entscheidungen wirken sich somit direkt auf den Arbeitsmarkt aus.

Um mehr Vertragsfreiheit aller Beteiligten zu erreichen, müssen die Kartellstrukturen auf Kassenseite beseitigt, und das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" (GWB) muss konsequent angewendet werden. § 69 SGB V, der die Krankenkassen aus dem deutschen Wettbewerbs- und Kartellrecht ausnimmt, muss aufgehoben werden. Die Wettbewerbskontrolle, die letztlich dem Verbraucherschutz dient, darf gerade im Gesundheits- und Arzneimittelsektor nicht unterlaufen werden.

Kosten-Nutzen-Bewertung (§§ 35 b, 139 a SGB V)

Eine Kosten-Nutzen-Bewertung, die die Ergebnisqualität, die Kosteneffektivität und die Effizienz des Ressourceneinsatzes verbessern und damit zielführend sein soll, muss bestimmten methodischen Anforderungen und Grundregeln entsprechen. Gemäß international gebräuchlichen Standards hat die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive, insbesondere unter Einbeziehung sektorübergreifender Aspekte der Gesundheitsversorgung zu erfolgen. Neben randomisierten, kontrollierten Studien nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin sind das gesamte wissenschaftlich etablierte Studieninstrumentarium, insbesondere die Schätzung, Extrapolation und statistische Zusammenführung von klinischen, epidemiologischen und ökonomischen Daten sowie Anwendungsbeobachtungen in die Bewertung einzubeziehen. Die Ergebnisse, die auf dieser Basis gewonnen werden könnten, würden zugleich stärker als das bisherige Vorgehen der Anforderung gerecht, die Alltagswirksamkeit der Arzneimittel zu erfassen.

Gegenüber diesen international anerkannten Standards bleibt der Gesetzentwurf, der nur auf die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin abstellt und eine Arzneimittelevaluation nur bei vorheriger Feststellung eines medizinischen Zusatznutzens vorsieht, weit zurück. Es ist auch unerlässlich, dass die Festlegung der Angemessenheit und der Erreichung der internationalen Standards nicht durch das Institut, das auch die Kosten-Nutzen-Bewertung vornimmt, sondern durch den Gesetz- und Ordnungsgeber und damit durch externe, transparente Kontrollmechanismen erfolgt. Ferner entspricht es internationalen Standards und europäischem Recht, dass die Arzneimittelhersteller während des gesamten Verfahrens, also von der Methodenerstellung des Instituts bis zum Abschluss der Bewertungsverfahren beteiligt werden.

Der Gesetzentwurf muss in Übereinstimmung mit grundlegenden wissenschaftlichen Standards und internationalen Leitlinien in zentralen Punkten nachgebessert werden.

(Erstattungs-)Höchstbetrag (§ 31 Abs. 2 a SGB V)

Der Gesetzentwurf sieht vor, künftig auch innovative festbetragsfreie Arzneimittel einem (Erstattungs-)Höchstbetrag zu unterwerfen. Der Höchstbetrag soll vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Basis einer Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG oder "im Einvernehmen" mit dem Arzneimittelhersteller festgelegt werden.

Die Festlegung eines (Erstattungs-)Höchstbetrages widerspricht eklatant dem Gedanken des Innovationsschutzes, der im Eckpunktepapier durch die ausdrückliche Betonung der Festbetragsfreiheit für innovative Arzneimittel unmissverständlich fixiert wird. Die erst im April 2006 im Rahmen des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) gestärkte Innovationsschutzklausel (§ 35 Abs. 1 b SGB V) würde durch die Einführung von Höchstbeträgen ad absurdum geführt, da künftig innovative Arzneimittel, die eine therapeutische Verbesserung darstellen, zwar keinem Festbetrag, dafür aber einem Höchstbetrag nach § 31 Abs. 2 a SGB V unterliegen würden. Der gegenwärtige Innovationsschutz wird somit durch Höchstbeträge in seiner Wirkung gänzlich ausgehöhlt. Die mit dem Höchstbetrag verbundene weitere Zurückdrängung der Marktpreisbildung schadet dem Pharma- und Forschungsstandort Deutschland.

Wenn überhaupt, so kann ein Höchstbetrag nur dann in Frage kommen, wenn die Kosten-Nutzen-Bewertung zu einem negativen Ergebnis geführt hat - im Falle einer positiven Bewertung ist der Preis offensichtlich angemessen, so dass sich ein abweichender Höchstbetrag verbietet. Davon abgesehen darf ein Höchstbetrag nur auf eine Kosten-Nutzen-Bewertung gestützt werden und auf nichts anderes. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen dagegen die "anteiligen Entwicklungskosten" ins Verhältnis zu der Zahl der Patienten gesetzt werden, die das Arzneimittel in Deutschland während der Dauer des Unterlagenschutzes erhalten. Eine solche Einschätzung greift jedoch zu kurz, ist von extremer Unsicherheit geprägt und kein geeignetes Beurteilungskriterium für die Erstattungshöhe eines Arzneimittels.

Verordnung besonderer Arzneimittel mit Zweitmeinung (§ 73 d SGB V)

Mit dieser Regelung soll ein "Arzt für besondere Arzneimittel-Therapie" eingeführt werden, an dessen Zweitbegutachtung die Verordnung von Arzneimitteln mit besonderer Wirkweise gebunden werden soll. Wirkstoffe, Anwendungsgebiete und Patientengruppen sollen durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) festgelegt werden.

Eine solche Regelung kann nur für sehr eng begrenzte Indikationsgebiete in Frage kommen, soweit Patienten hier nicht ohnehin vom spezialisierten Facharzt behandelt werden. Im Fokus der Regelung sollten ausweislich der "Eckpunke einer Gesundheitsreform 2006" sowie der Begründung des Gesetzentwurfs medikamentöse Therapien stehen, die besonders hochpreisig sind - genannt sind Jahrestherapiekosten von mehr als 20.000 Euro - und bei denen ein besonderes Behandlungsrisiko besteht. Dies sollte auch im Gesetzestext so präzisiert werden.

Das Verfahren der Bestellung der "Ärzte für besondere Arzneimitteltherapie" soll zwar einvernehmlich zwischen Krankenkassen und KVen durchgeführt werden, räumt jedoch den Kassen eine strategische Möglichkeit ein, gesonderte oder ausschließlich Verträge unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten auszuschreiben. Die so bestellten Ärzte hätten dann den Charakter von "Vertrauensärzten" der gesetzlichen Krankenversicherung. Neben einer Hierarchisierung innerhalb der Ärzteschaft (nach österreichischem Vorbild?) ist zu befürchten, dass sich für Patienten notwendige Therapien mindestens verzögern.

Die Regelung ist in der vorgelegten Form inakzeptabel. Wenn der Gesetzgeber das Zweitmeinungsverfahren einführen möchte, muss es zielgerecht auf teure und risikoreiche Therapien begrenzt werden. Gleichzeitig darf es keine einseitige Option der Kassen geben, Gutachter zu bestellen. In einem solchen Verfahren ist es den Beteiligten durchaus zumutbar, sich zu verständigen und zu einer einvernehmlichen Einigung zu kommen.

Rabattverträge mit Apotheken (§§ 130a Abs. 8 SGB V, 78 Abs. 3 AMG)

Apotheken sollen die Befugnis erhalten, Rabattverträge mit pharmazeutischen Unternehmern zu schließen, wenn die Krankenkasse selbst keine solche Vereinbarung getroffen hat. Sie sind gehalten, die aus diesen Verträgen resultierenden Einsparungen mit Ausnahme einer "Provision" von 15 Prozent, höchstens aber 15 Euro je Packung an die Krankenkasse abzuführen.

Dieses Konstrukt durchbricht im Ergebnis den im AVWG verankerten Grundsatz des einheitlichen Herstellerabgabepreises, der erst seit dem 01.05.2006 gilt. Das AVWG hat die Fehlentwicklungen gestoppt, die mit der zuvor gängigen Rabattpraxis im generikafähigen Markt verbunden waren. Das GKV-WSG aber öffnete die soeben fest verschlossene Büchse der Pandora wieder. Die pharmazeutische Industrie möchte an diesem Punkt nicht hinter das AVWG zurück. Sowohl wegen der Missbrauchsgefahr als auch wegen der exorbitant hohen Transaktionskosten, die mit Rabattverträgen mit Apotheken verbunden sind, lehnt es die Industrie ab, (auch) mit Apotheken Rabatte zu vereinbaren. Sie will, dass es ohne Wenn und Aber beim einheitlichen Herstellerabgabepreis bleibt. Und das auch deshalb, weil sie nicht dem Verdacht ausgesetzt werden will, Rabatte an den Krankenkassen "vorbeizuziehen".

Arzneimittelverordnungsdaten (§ 305 a SGB V)

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Arzneimittelverordnungsdaten in Zukunft nicht mehr unterhalb der KV-Ebene verarbeitet werden dürfen. Die Regelung soll insbesondere verhindern, dass die Pharmaindustrie das Verordnungsverhalten einzelner Ärzte überprüfen und steuern kann.

Damit schüttet der Gesetzentwurf das Kind indes mit dem Bade aus: Verständlich ist der politische Ansatz, den pharmazeutischen Unternehmern keine Daten an die Hand zu geben, die das Verordnungsverhalten einzelner Ärzte transparent machen. Dieses Ziel kann jedoch auch durch ein gesetzliches Verbot erreicht werden, Arzneimittelverordnungsdaten so aufzubereiten und zu verarbeiten, dass sie auf einzelne Vertragsärzte beziehbar sind.

Differenzierte, aber nicht auf einzelne Ärzte herunter gebrochene Arzneimittelverordnungsdaten, die nicht nur der KV und den Krankenkassen zugänglich sind, nutzen dem Wettbewerb und tragen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung bei. Der Gesetzentwurf nimmt der Industrie aber z.B. jede Möglichkeit, die finanziellen Auswirkungen von Rabattverträgen, die das GKV-WSG fördern will, auf der Grundlage neutraler, nicht von den Krankenkassen stammender Verordnungsdaten zu ermitteln.

Es ist daher gesundheitspolitisch zielführend, die differenzierte Verarbeitung von Arzneimittelverordnungsdaten nicht zu verbieten, wenn und soweit sie das Verordnungsverhalten einzelner Ärzte nicht offen legt. Die damit einhergehende Transparenz verhindert nicht zuletzt ein Daten- und Interpretationsmonopol der GKV. An der Datenpluralität sollte aber auch die Politik ein hohes Interesse haben. Sie ist dann nämlich am besten vor Fehlern und Manipulationen geschützt.

Auseinzelung (§§ 10 Abs. 11, 11 Abs. 7 AMG)

Der Gesetzentwurf will die Auseinzelung erleichtern. In der ambulanten Versorgung spielt die Auseinzelung bislang nur eine Statistenrolle. Das deutet darauf hin, dass die Packungsgrößenverordnung ihrem gesetzlichen Auftrag aus § 31 Abs. 4 Satz 1 SGB V gerecht geworden ist, für die Bereitstellung therapiegerechter und wirtschaftlicher Packungsgrößen zu sorgen. Sofern dies nicht (mehr) der Fall sein sollte, müsste die Packungsgrößenverordnung überprüft und neu justiert werden. Das geltende Recht reicht also voll und ganz aus, um die singulären Fälle notwendiger Auseinzelung zu bewerkstelligen. Von daher besteht kein Erfordernis, eine Regelung zu schaffen, die unter dem Blickwinkel der Arzneimittelsicherheit Fragen aufwirft.

Ob die Auseinzelung - wie im Eckpunktepapier prognostiziert - Kosteneinsparungen bewirkte, ist zumindest sehr fraglich. Für die Industrie wäre die Herstellung für die Einzelabgabe bestimmter Arzneimittel jedenfalls mit einem erheblichen Investitionsaufwand verbunden. Zu den jetzigen Produktionslinien für die "klassischen Packungen", die fortgeführt werden müssten, käme nämlich eine zusätzliche Produktionslinie "Großgebinde" hinzu. Gerade Unternehmen wie Generikahersteller, die Vollsortimenter sind, müssten sehr viel Geld in die Hand nehmen, um den Großgebindemarkt komplett abzudecken. Da die Einzelabgabe zu Lasten der Packungsabgabe ginge, würden sich die Produktionskosten bei gleich bleibendem Absatzvolumen erhöhen. Hinzu kämen die Kosten für die Zulassung und die Erhaltung der Zulassung von Großgebinden.

Im Übrigen trüge die Erleichterung der Auseinzelung, wenn überhaupt, dann nicht wesentlich zur Beseitigung oder Verringerung des Arzneimittelmülls bei. Denn das Wegwerfen oder Horten von Arzneimitteln ist weit überwiegend mangelnder Compliance der Patienten und ihrer unzureichenden Information durch Ärzte und Apotheker und nicht etwa überdimensionierten Packungsgrößen geschuldet.

Schließlich ist zu beachten, dass nach zwingendem europäischen Gemeinschaftsrecht und nach Auffassung der EG-Kommission bei jeder Arzneimittelabgabe ausnahmslos die Kennzeichnung und Packungsbeilage beizufügen sind. Davon abzuweichen, würde den gesetzlich vorgesehenen Verbraucherschutz unterlaufen.

Daher sollte unbedingt von den vorgesehenen Regelungen über die Auseinzelung Abstand genommen werden.

12. November 2006


Download: Gemeinsame Erklärung als PDF [109 KB]

Download: Gemeinsames Positionspapier "GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - Stärkung des Wettbewerbs durch Anwendbarkeit des Kartell- und Wettbewerbsrechts auf GKV" vom 1. Dezember 2006 [PDF, 102 KB]