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Betriebskrankenkassen fordern Abschaffung von Aut idem

"Aut idem": Apotheker sollen Sparen helfenDie Gesetzlichen Krankenkassen sollten, so die Zielsetzung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Gewinner der Aut-idem-Regelung sein: Durch die Verpflichtung der Apotheker, den Kassenpatienten statt per Rezept verordneter Medikamente kurzerhand billigere Alternativen auszuhändigen, sollten die Kassen 230 Millionen Euro einsparen. Doch die Praxis sieht anders aus: Die erhofften Einsparungen für die Krankenkassen blieben aus. Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) zieht eine vernichtende Bilanz und fordert gut drei Jahre nach Einführung nun die Abschaffung von Aut idem - eine Position, die der Verband Forschender Arzneimittelhersteller bereits seit langem vertritt.

Die Aut-idem-Regelung trat im Februar 2002 mit dem Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG) in Kraft. Damit modifizierte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die immerhin seit 800 Jahren bestehende Trennung zwischen Verordnung und Abgabe von Arzneimitteln. Wollte ein Apotheker ein anderes Medikament als das vom Arzt verordnete abgeben, bedurfte es zuvor der ausdrücklichen Genehmigung des Arztes. Heute muss der Arzt auf dem Rezept durch das Setzen eines Kreuzes ausdrücklich das Austauschen eines von ihm verordneten Medikaments durch den Apotheker ausschließen.

Fehlt das Kreuzchen auf dem Rezept und sind gleichartige Medikamente auf dem Markt, weist die Regelung den Apotheker an, nicht das verordnete Arzneimittel, sondern stattdessen eine der drei preisgünstigsten Alternativen herauszugeben. Gleichartiges Medikament heißt hierbei: Es muss der gleiche Wirkstoff enthalten sein, Wirkstärke und Packungsgröße müssen identisch sein, die Medikamente müssen für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sein und sie müssen die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen.

Die mit der preisgünstigeren Auswahl durch die Apotheker erwirtschafteten Einsparungen sollten den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zugute kommen und damit zur angestrebten Senkung der Beitragssätze beitragen. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Bei den Kassen kommt von den erhofften Einsparungen kaum etwas an.

Gewinner sind die Apotheken

Gewinner sind in der Praxis nur die Apotheker. "Hunderte Millionen Euro bleiben durch Rabatte bei den Apotheken hängen", ärgert sich Wolfgang Kaesbach, Leiter der Abteilung Arzneimittel beim Bundesverband BKK. Unterstützt wird seine Aussage durch Angaben des Marktforschungsunternehmens NDC Health: Demnach sind die den Apotheken gewährten Rabatte von 150 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 289 Millionen Euro im Jahr 2004 gestiegen.

Das Problem: Weil die Entscheidung, welches Präparat abgegeben wird, wegen Aut idem heute oft bei den Apotheken liegt, passen die Hersteller die Preise ihrer Medikamente zwar teilweise nach unten an. Aber sie steigen auch vermehrt in den Wettbewerb mit so genannten Naturalrabatten ein: Zusätzlich zu den im Großhandel oder beim Hersteller eingekauften Medikamenten erhalten Apotheken kostenlos weitere Packungen. Die können sie nach Abgabe an Patienten zum vollen Preis mit den Krankenkassen abrechnen - quasi mit einer Gewinnspanne von einhundert Prozent.

Der Reiz ist daher für manchen groß, nicht eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel, sondern eine der Gratispackungen mit der attraktiven Gewinnmarge abzugeben. Kontrollieren lässt sich dies kaum, denn wer sollte Millionen Rezepte überprüfen? Und um in den Genuss der profitablen Naturalrabatte zu kommen, legen sich Apotheken dann schon mal die Produkte entsprechender Hersteller vermehrt auf Lager - die nicht immer die billigsten sind und irgendwann auch an Patienten abgegeben werden müssen.

Der Versuch des Gesundheitsministeriums, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, schlug bisher fehl: Ein Rahmenvertrag, der die Krankenkassen an den Rabattgewinnen der Apotheken teilhaben ließe, kam nicht zustande.

VFA weist schon seit langem auf Probleme von Aut idem hin

Aut idem ist nicht nur aus ökonomischen Gründen umstritten. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) weist seit langem auf vielfältige Probleme in der Therapie der Patienten hin. Vor allem chronisch Kranke haben unter der Regelung zu leiden. In der Theorie erscheint es unproblematisch, ein Medikament durch ein wirkstoffgleiches Präparat zu ersetzen. In der Praxis ergeben sich jedoch verschiedene Schwierigkeiten.

Zum Beispiel, weil wirkstoffgleich noch lange nicht therapeutisch äquivalent bedeutet. Dies ist insbesondere bei Arzneimitteln bedeutsam, bei denen bereits eine relativ geringe Erhöhung des Wirkstoffpegels zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Der Wirkstoffpegel hängt nämlich nicht nur von der Wirkstoffdosierung eines Medikaments ab, sondern auch von den Hilfsstoffen, mit denen die Aufnahme des Wirkstoffs gesteuert wird. Fachleute sprechen von der Resorptionsrate oder Bioverfügbarkeit, die trotz gleicher Dosierung von wirkstoffgleichen Präparaten sehr variieren kann.

Für Patienten, die auf eine sehr genaue Einstellung von Medikamenten angewiesen sind, kann dies Konsequenzen haben: Zum Beispiel muss bei Epilepsiepatienten der Wirkspiegel genau zwischen therapeutischer und toxischer (giftiger) Schwelle liegen, da sonst erneute epileptische Anfälle oder stärkere Nebenwirkungen drohen. Die Folgen könnten für den Patienten katastrophal sein: "Er kann schon wegen eines einzigen Rezidivanfalls (Anm. d. Red.: erneuter epileptischer Anfall) seine Fahrerlaubnis und seine Arbeit verlieren", so der Epilepsieexperte Professor Peter Wolf.

Auch die Bereitschaft von Patienten, eine Therapie fortzusetzen, wird untergraben, wenn sie ständig andere Präparate bekommen, die jedes Mal die genaue Lektüre des Beipackzettels erfordern und bei denen immer wieder andere Regeln bei der Einnahme zu beachten sind. Gerade ältere, möglicherweise unter mehreren Krankheiten gleichzeitig leidende Patienten sind von dieser Situation schnell überfordert. "Jede Veränderung stiftet Verwirrung", warnt der Heidelberger Pharmakologie-Professor Björn Lemmer vor den negativen Auswirkungen eines Präparatwechsels auf die Bereitschaft von Patienten, den Anweisungen ihres Arztes zu folgen.

Auf weitere Probleme hat der VFA schon vor der Einführung von Aut idem hingewiesen: So ist die Erfassung und Zuordnung von Nebenwirkungen kaum möglich, wenn der Patient immer wieder andere Präparate anwendet und nirgendwo dokumentiert wird, welche Medikamente abgegeben wurden. Der Nachweis, bei welchen Hilfs-, Zusatz- und Farbstoffen ein Patient möglicherweise allergisch reagiert, ist so kaum möglich und die ärztliche Therapiekontrolle stark beeinträchtigt.

Nicht eindeutig geklärt sind außerdem Haftungsfragen: Wer ist verantwortlich, wenn ein Arzt die Substitution nicht untersagt hat und der Apotheker ein ungeeignetes Medikament abgibt, das dem Patienten schadet?

Dass jetzt ausgerechnet die Krankenkassen für die Abschaffung der seit ihrem Inkrafttreten viermal modifizierten Aut-idem-Regelung plädieren, dürfte auch das Gesundheitsministerium aufhorchen lassen. "Wir werden uns", so BKK-Abteilungsleiter Kaesbach entschlossen, "für eine Aufhebung der Substitutionsverpflichtung einsetzen."