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Sichere Medikamente für Kinder: Industrie und Ärzte wollen europäischen Verordnungsrahmen nutzen

Berlin, 9.11.2006. - Die neue europäische Verordnung zu Kinderarzneimitteln, die am 1. Januar 2007 in Kraft tritt, ist als großer Erfolg für die Arzneimittelsicherheit von Kindern und Jugendlichen zu bewerten. Darin sind sich die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) einig. Denn sie wird Kindern und Jugendlichen zu mehr eigens für sie zugelassenen Medikamenten verhelfen. Beide Verbände appellierten heute in Berlin an die Politik, die neue Verordnung in Deutschland konsequent und zügig praktisch anzuwenden und hierfür effektive und transparente Strukturen zu schaffen.

Auf dem von ihnen veranstalteten Workshop "EG-Verordnung zu Kinderarzneimitteln - Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung in Deutschland" diskutierten Pädiater und Industrievertreter mit Experten aus dem Gesundheitsministerium, den Ethik-Kommissionen, aus Selbsthilfegruppen und Elternverbänden, aus der Politik und weiteren mit Medikamentenstudien befassten Einrichtungen und Initiativen.

Durch die Verordnung wird es notwendig, erheblich mehr Medikamentenstudien mit Minderjährigen durchzuführen als bisher. Der Schutz der kleinen Patienten, ihre Würde und auch ein Nutzen für sie müssen bei diesen Studien stets gewährleistet sein: "Die medizinische Betreuung erfolgt bei Studien stets nach neuestem medizinischen Stand und ist in vielen Fällen hinsichtlich der Anamnese und behandlungsbegleitender Diagnostik umfassender als es eine normale Behandlung sein kann. Es besteht zudem die Chance, früher als andere eine neuartige und potenziell wirksamere Behandlung zu erhalten", erläuterte Prof. Dr. Fred Zepp, Sprecher des PAED-Net, des Kompetenznetzwerks zur Planung und Durchführung multizentrischer Studien in der Pädiatrie, dem sechs Universitätskliniken angeschlossen sind. Die Sicherheit der Minderjährigen hat dabei oberste Priorität: So erhalten Kinder und Jugendliche nach Möglichkeit nur Präparate, die bereits erfolgreich von Erwachsenen erprobt worden sind, wobei diese natürlich in einer altersgerecht optimierten Dosierung und Zubereitung angewendet werden. Die Ärzte sind verpflichtet, die Belastung der Studienteilnehmer so gering wie möglich zu halten.

Auch die schwierige Situation der Eltern angesichts von Studien mit ihren Kindern kam im Workshop klar zur Sprache. Ein transparenter Umgang mit Studienvorhaben und -ergebnissen ist eine unverzichtbare vertrauensbildende Maßnahme, um die allgemeine Akzeptanz und die Teilnahmebereitschaft auf Elternseite zu erhöhen, wie Hermine Nock vom Bundesverband Herzkranker Kinder e.V. betonte: "Eltern möchten zuverlässig über Anträge, Ausschlusskriterien - und auch über negative Befunde - von Studien informiert werden." Um dringlich benötigte Präparate vorzuziehen, aber auch um unnötige Studien zu vermeiden, müsse zunächst ein unabhängiges Register eingerichtet werden.

Prof. Dr. Hannsjörg W. Seyberth, Vorsitzender der Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter (KASK) der DGKJ und Gründungsmitglied des European Network for Drug Investigation in Children (ENDIC) der ESDP (Europäische Gesellschaft für pädiatrische Pharmakologie), sah in der europäischen Verordnung den lang ersehnten und von ihm unermüdlich betriebenen Durchbruch für mehr auf den Bedarf von Kindern zugeschnittene Arzneimittel. Seyberth betonte, dass eine erfolgreiche Umsetzung nur im Zusammenwirken möglich ist: "Alle, die an der Entwicklung, Verordnung und Anwendung von Kinderarzneimitteln beteiligt sind, sind nun gefragt, diese europäische Verordnung den Kindern gegenüber höchst verantwortungsvoll umzusetzen. Hierzu zählt unter anderem die Weiter- und Fortbildung der Pädiater und Pflegekräfte in der Durchführung von Arzneimittelstudien nach den sehr umfangreichen und aufwendigen EU-Leit- und Richtlinien, die Entwicklung von möglichst wenig belastenden und kindgerechten Prüfmethoden und der Aufbau von Studien-Netzwerken mit möglichst vielen Kinderkliniken und Kinderarztpraxen. Auch müssen mehrere Zentren zur Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei Kindern eingerichtet werden, und zudem der Aufbau von Registern, die bei Kindern, die eine neuartige Arzneimitteltherapie mit unklarem Langzeitrisiko erhalten, den Verlauf bis ins Erwachsenenalter erfassen."

Durch die europäische Verordnung werden Pharmaunternehmen ab 2007 verpflichtet, alle in Entwicklung befindlichen Medikamente auch für Kinder und Jugendliche zu prüfen und zur Zulassung zu bringen, sofern diese für Minderjährige in Betracht kommen. Sie erhalten dafür einen um sechs Monate verlängerten Schutz vor Nachahmerpräparaten. Für bereits zugelassene Präparate gibt es keine Verpflichtung, jedoch Anreize, sie nachträglich auch für Kinder und Jugendliche zu erproben und dafür eine Zulassungserweiterung einzureichen. "Die Zahl kindgerechter Arzneimittel muss rasch gesteigert werden, und wir sind froh, dass die europäische Verordnung dafür den richtigen Rahmen schafft", betonte Prof. Dr. Torsten Strohmeyer, Leiter Forschung und Medizin bei GlaxoSmithKline in München, für die forschenden Arzneimittelhersteller. Kinderstudien hätten diese schon in der Vergangenheit durchgeführt, um jährlich rund 20 Arzneimittel für Kinder herausbringen zu können. In Zukunft werde sich aber der Umfang dieser Aktivitäten um wohl mehr als hundert zusätzliche Studien in Europa jährlich vergrößern. "Viele forschende Arzneimittelhersteller sind interessiert daran, möglichst viele deutsche Studienzentren in ihre multinationalen Kinderstudien einzubeziehen", so Strohmeyer weiter. Man sei froh über die Kooperationsbereitschaft der Pädiater; allerdings zeichnen sich Kapazitätsprobleme ab.

"In der deutschen Hochschulmedizin und klinischen Forschung gibt es nach wie vor gravierende Struktur- und Finanzprobleme, die verhindern, dass den nun besonders geforderten Universitätskinderkliniken die hierfür notwendigen Valenzen für professionelle klinische Arzneimittelprüfungen zur Verfügung gestellt werden", bestätigte Seyberth. "So müssen für die Finanzierung der auf den Stationen und in den Praxen im Rahmen der Durchführung nichtkommerzieller und nicht von der Industrie unterstützten Studien erbrachten Mehrarbeit und des Mehraufwands neue Wege gefunden werden. Hier sind unter anderem die Krankenhaus- und Kostenträger gefragt, denen sehr daran gelegen sein sollte, eine hohe Qualität in der patientengerechten Arzneimittelbehandlung ihrer Patienten bzw. Mitglieder zu gewährleisten. Natürlich sind aber auch die medizinischen Fachbereiche gefordert, die sehr verantwortungsvolle Arbeit des medizinischen Studienleiters eines klinischen Prüfprojektes im Rahmen der Entwicklung eines Arzneimittels ebenso wie das Forschungsengagement im Labor der molekularbiologischen Grundlagenforschung leistungsentsprechend akademisch zu würdigen."

Gemeinsam appellierten Seyberth und Strohmeyer an die Politik, den Ausbau der pädiatrischen Studieninfrastruktur in Deutschland zu fördern. Mit dem PAED-Net verfüge Deutschland über eine qualitativ gute Basis dafür. Sie müsse aber erheblich verbreitert werden, wenn Deutschland beim nun einsetzenden Aufschwung in der pädiatrischen Forschung gegenüber anderen europäischen Ländern nicht zurückbleiben wolle.


Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der gesamten Pädiatrie in Deutschland: www.dgkj.de

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) ist der Wirtschaftsverband der forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland. Er vertritt die Interessen von 40 weltweit führenden Herstellern und ihren über 100 Tochter- und Schwesterfirmen in der Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik. Die Mitglieder des VFA repräsentieren rund zwei Drittel des gesamten deutschen Arzneimittelmarktes und beschäftigen in Deutschland rund 86.000 Mitarbeiter, darunter mehr als 15.000 in Forschung und Entwicklung.