PROTACs: "kann weg" als Therapie
Bislang greifen fast alle Wirkstoffe aus Medikamenten in Krankheitsprozesse ein, indem sie entweder fehlende Moleküle ersetzen oder fehlfunktionierende Moleküle (oder ihre Herstellung) blockieren. Wirkstoffe neuen Typs, die "Proteolysis Targeting Chimera" oder PROTAC genannt werden, machen es anders: Sie lassen die zelleigenen "Müllschredder" störende Proteine beseitigen. Noch ist keiner von ihnen zugelassen, aber Forschung und Entwicklung kommen voran.
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Die Herausforderung
Bei vielen Krankheiten wird in den Zellen im Körper von einem Stoff viel zu viel gebildet, oder seine Produktion erfolgt im falschen Moment. Manchmal wird sogar ein schädlicher Stoff gebildet, den es gar nicht geben dürfte. Zur Behandlung werden dann zumeist Medikamente mit Wirkstoffen verwendet, die den Stoff selbst oder seine Herstellung blockieren.
Zwei Beispiele:
- Viele Menschen produzieren in ihrem Körper zuviel Cholesterin. Aber Wirkstoffe, die Statine heißen, die können eins der Enzyme blockieren, die das Cholesterin herstellen. Ergebnis: Die Neuproduktion von Cholesterin sinkt.
- Oder Kopfschmerzen: Viele Kopfschmerzen beginnen mit der Bildung bestimmter Schmerzsubstanzen durch zwei Enzyme, die Cox1 und Cox2 heißen. Ibuprofen, ASS, Diclofenac und Naproxen hindern diese Enzyme am arbeiten, und es kann kein Schmerz entstehen oder der Schmerz kann nicht länger aufrecht erhalten werden.
Bei anderen Krankheiten reagieren Zellen falsch, wenn sie ein bestimmtes Hormon erreicht. Diese Krankheiten kann man z.B. daduch lindern, dass man die Empfangsantennen für dieses Hormon - sie heißen Rezeptoren - irgendwie abschirmt.
Mit Enzymblockade und dem Abschirmen von Rezeptoren wurde schon viel erreicht; aber manche Enzyme lassen sich einfach nicht blockieren, sondern arbeiten stur weiter. Und manche Hormonrezeptoren kann man auf Dauer doch nicht so gut abschirmen, wie man es müsste.
Vor gut 20 Jahren kamen Forscherinnen und Forscher aber auf eine völlig neue Idee: Jede Zelle – so die Überlegung – hat einen Müllschredder für Proteine. Könnte man nicht diesen Schredder auf das betreffende Enzym oder den Rezeptor "hetzen"? Der würde daraus quasi Kleinholz machen.
Das geht tatsächlich. Die ersten Wirkstoffe, die auf diese Weise funktionieren, werden gerade in klinischen Studien erprobt. Sie heißen PROTACs bzw. „Proteolysis Targeting Chimera“.
Der Name PROTAC
PROTAC (gesprochen "pro-täck") steht für „Proteolysis Targeting Chimera“. Chimäre heißt so ein Wirkstoff, weil er aus zwei völlig verschiedenen Teilen besteht – so, wie sich die Chimäre der Mythologie aus mehreren Tieren zusammensetzte. „Targeting“ heißt, auf etwas abzuzielen. "Proteolysis" ist der englische Fachbegriff für das Schreddern von Proteinen. PROTACs sind folglich Chimären, die gezielt für das Schreddern von Proteinen sorgen.
Wie der Schredder erfährt, was er schreddern soll
Der Proteinschredder in den Zellen zerlegt nicht einfach alles, was ihm begegnet. Er schreddert ein Protein nur, wenn vorher eine Art zelluläre "Etikettiermaschine" das Etikett „kann weg“ draufgeklebt hat. Der offizielle Name der"Etikettiermaschine" ist Ligase E3. PROTACs müssen die unerwünschten Proteine mit der "Etikettiermaschine" zusammenbringen. Dazu haben die Forscherinnen und Forscher in den Pharmalabors Wirkstoffe aus zwei Teilen gebaut: Der linke Teil ist so gemacht, dass er sich an die "Etikettiermaschine" heften kann, und der rechte ist so gebaut, dass er sich an das unerwünschte Protein heftet. Wenn jetzt ein Mensch so ein Medikament einnimmt, gelangen diese Doppelmoleküle in die Zellen und verbinden sich mit "Etikettiermaschine" und Zielprotein. Die Maschine etikettiert das Zielprotein. Den Rest besorgt dann der Schredder.
Krankheiten, bei denen PROTACs helfen könnten
Viele Unternehmen versuchen, auf diese Weise neue Behandlungsmöglichkeiten für Patienten und Patientinnen mit ganz unterschiedlichen Krankheiten zu entwicklen. Allein gegen Krebs sind mehr als 70 verschiedene PROTACs in Entwicklung: gegen Brustkrebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs, Lymphknotenkrebs und Krebs in den Gelenken. Da geht es meistens darum, dass die Krebszellen bestimmte Hormone nicht mehr wahrnehmen dürfen, weil sie sonst sofort wieder das Teilen anfangen.
Aber es geht auch um Autoimmunkrankheiten, z.B. Gelenkrheuma oder atopische Dermatitis. Da müssen Immunreaktionen unterdrückt werden. Das gelingt heute schon bei vielen Betroffenen mit herkömmlichen Medikamenten ganz gut, aber eben nicht bei allen.
Im Labor wird experimentiert, ob man mit PROTACs auch Viren bekämpfen kann. Viren dringen ja in Zellen ein und vermehren sich dort. Daran wirken Virenproteine mit. PROTACs könnten dafür sorgen, dass diese Virenproteine ganz schnell beseitigt werden. Das hat man schon bei Hepatitis C-Viren und SARS-CoV-2 ausprobiert; aber bisher nur im Labor.
Das spannendste Gebiet sind aber die neurodegenerativen Krankheiten. Bei denen sind oft Proteine Teil des Problems, die sich zusammenklumpen und dann als Müll in den Nervenzellen herumliegen. Bei Alzheimer sind das Aggregate aus Tau-Protein, bei Frontotemporal-Demenz ebenfalls, bei Parkinson sind das Aggregate aus Alpha-Synuclein, und bei Morbus Huntington sind das Aggregate aus mutiertem Huntingtin. Und bisher sind keine Medikamente zugelassen, um diese Proteinaggregationen zu verhindern. Einige Unternehmen arbeiten nun daran, gegen diese Proteinaggregate PROTACs zu entwickeln. Wenn die Aggregation schon nicht verhindert werden kann, dann sollen eben die Aggregate wieder geschreddert werden. Diese PROTACs sind aber noch im Laborstadium.
Status der Entwicklung
Bis die ersten PROTACs zugelassen werden, wird es noch einige Jahre dauern. Bislang hat erst ein PROTAC die Phase III erreicht, also die letzte Phase der Erprobung mit Patientinnen und Patienten. Und diese Phase III-Studie mit Brustkrebspatientinnen hat gerade erst begonnen. Alle anderen PROTACs sind noch nicht so weit gekommen; und die allermeisten sind noch im Laborstadium.