Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

Mit künstlichen DNA-Schnipseln Tumore aufspüren

Aptamere sind kurze, synthetisch erzeugte DNA- oder RNA-Moleküle und können – ähnlich wie Antikörper – spezifisch an Zielstrukturen binden. US-Forscher haben zusammen mit Kollegen der Universität Bonn mithilfe eines Aptamers auf Lymphom-Zellen einen möglichen Ansatzpunkt für Krebstherapien entdeckt. (1)

3D-Illustration von türkis eingefärbten Antikörpern, die eine weiße Krebszelle angreifen und befallen

Die kleinen Geschwister der Antikörper

Antikörpertherapien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem wichtigen Baustein der Krebsbehandlung entwickelt. Sie binden zum Beispiel zielgerichtet an Strukturen, die für das Überleben des Tumors wichtig sind oder ihm ermöglichen, sich vor dem Immunsystem zu verbergen. Jedoch bestehen Antikörper aus mehreren tausend Atomen und müssen aufwendig mit gentechnischen Verfahren mithilfe von Mikroorganismen wie Hefen oder Säugetierzellkulturen hergestellt werden. Seit einiger Zeit setzen Forscherinnen und Forscher daher auch auf spezielle Einzelstrang-DNA- und -RNA-Moleküle, sogenannte Aptamere. Sie sind in Bindungsstärke und spezifität sehr ähnlich zu Antikörpern, zugleich aber sind sie wesentlich kleiner und führen außerdem seltener zu unerwünschten Immunreaktionen. (1)

Diese Vorteile machten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bonn und Phoenix/USA zunutze, als sie nach neuen Strategien zur Erkennung und Behandlung von Lymphomen suchten. Das von ihnen dazu entwickelte Aptamer heftet sich spezifisch an die Oberfläche von B-Zellen des Immunsystems, die sich beim Burkitt-Lymphom unkontrolliert teilen. Als Zielstruktur dieses Aptamers identifizierte die Forschergruppe einen bis dahin unbekannten Proteinkomplex auf der Zelloberfläche von Burkitt-Lymphom-Zellen, für den sie den Namen Surface Splicosomal Complex (SSC) vorschlugen. Unter Splicen (deutsch: Spleißen), versteht man einen Vorgang in der Zelle, bei dem nach dem Auslesen eines Gens auf der dabei entstehenden Boten-RNA (mRNA) einzelne Sequenz-Abschnitte entfernt oder neu zusammengesetzt werden. Damit können die Protein-Baupläne in den Genen modular genutzt werden, beispielsweise damit eine Zelle schnell auf sich verändernde Umweltbedingungen wie Nährstoffzufuhr oder Temperatur reagieren kann.

Neuer Komplex ist spezifisch für bestimmte Lymphom-Zellen

Weil der Spleiß-Vorgang direkt nach dem Auslesen der Gene einsetzt, befinden sich die dafür nötigen Moleküle normalerweise nah am Zellkern. Einige wenige dieser Komponenten wurden zwar bereits auf Zelloberflächen gefunden, aber ein ganzer Spleiß-Komplex konnte dort mithilfe des Aptamers nun erstmalig beim Burkitt-Lymphom gezeigt werden. An Zellen anderer Tumorarten wie T-Zell-Lymphome bindet dieses spezifische Aptamer, das den gesamten SSC erkennt, hingegen nicht. Als Folge der Bindung des Aptamers entfernt die Zelle den SSC von ihrer Oberfläche, um eine Alarmierung des Immunsystems zu vermeiden. Dies führe wiederum dazu, dass sich in den Zellen mehrere hundert Spleiß-Prozesse verändern, die letztendlich zum Zelltod führen. Die genauen Mechanismen dieses Vorgangs müssen allerding noch untersucht werden. (2)

Erst ein zugelassenes Aptamer in der EU

Mit Pegaptanib wurde 2006 das erste und bisher einzige Aptamer in der EU zugelassen, und zwar zur Behandlung der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), einer Augenerkrankung. Bei der AMD bewirkt die verstärkte Ausschüttung des Proteins VEGF-A eine krankhafte Bildung von Blutgefäßen im Auge, die zum Absterben der Photorezeptoren und damit zur allmählichen Erblindung führt. Durch spezifische Bindung an VEGF-A stört Pegaptanib diesen Prozess. Weil mittlerweile effektivere AMD-Therapien entwickelt und zugelassen wurden, nahm der Hersteller Pegaptanib 2018 jedoch wieder vom Markt. Aus der Sammelgruppe der Oligonukleotide, zu denen auch Aptamere zählen, sind inzwischen bereits mehrere solcher Medikamente in der EU zugelassen worden.

Zwar wurden mittlerweile weitere Aptamere erforscht, einer zuverlässigen Wirkung stehen jedoch viele Hürden im Weg, etwa der rasche Abbau durch Nukleasen und ein zu schnelles Ausscheiden über die Niere. Zur Lösung dieser Probleme greift man heute unter anderem auf eine Technologie zurück, die sich bereits bei der Optimierung von Antikörpern bewährt hat: die Aptamere werden mit langen, leicht wasserlöslichen Molekülketten, den Polyethylenglykolen (PEG) verknüpft. Dadurch erhöht sich das Gewicht der Aptamere, weshalb die Ausscheidung langsamer erfolgt, zugleich ist es für abbauende Enzyme schwerer, an die Aptamere zu binden. (3)

Mit gespiegelten Molekülen zum Ziel?

Ein alternativer Weg, um den Abbau von Aptameren im Blut hinauszuzögern, ist die Spiegelmer-Technologie. Die beruht darauf, dass die einzelnen Bausteine des Zucker-Rückgrats der Aptamere in zwei verschiedenen chemischen Formen vorliegen können, die jeweils spiegelbildlich zueinander sind wie eine linke und eine rechte Hand. In der Natur kommen in DNA und RNA nur Zucker vor, bei denen die ausschlaggebende chemische Gruppe nach rechts zeigt. Durch den Einbau von gespiegelten natürlichen Zuckern können diese von den Nukleasen nur schwer abgebaut werden und die Aptamere bleiben stabiler.

Neben der Blockierung von Zellprozessen, die bei Krankheiten verändert sind, besteht eine weitere Anwendung von Aptameren darin, sie als Navigationssystem für sogenannte Nanopartikel einzusetzen. In solchen Nanopartikeln können Wirkstoffe wie Chemotherapeutika, aber auch DNA-Moleküle für Gentherapien verpackt sein. Dabei ist es eine Herausforderung, diese Partikel gerichtet zu den jeweiligen Zielzellen zu lotsen. Dies soll durch den Einbau von Aptameren, die spezifisch an Strukturen dieser Zielzellen binden, in die Nanopartikel gelöst werden. Aktuell stehen immunologische und onkologische Erkrankungen als Einsatzgebiete der klinischen Entwicklung von Aptameren im Fokus. Es liefen bzw. laufen aber auch Studien mit Aptameren bei Herzschwäche und der Alzheimer-Demenz. Bis zur Zulassung von Aptameren in weiteren Anwendungsgebieten, müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Moleküle aber noch weiter verbessern. (4) (5) (6)

Literaturtipps