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VFA/DGKJ-Workshop: "EG-Verordnung zu Kinderarzneimitteln - Worauf müssen wir uns einstellen?"

Der Workshop wurde am 10.11.2005 gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Berlin organisiert.

Frau Yzer, Hauptgeschäftsführerin des VFA, wies in ihrem Grußwort an die 70 Teilnehmer darauf hin, dass die forschenden Arzneimittelhersteller zwar jährlich 20 bis 25 Kinderarzneimittel auf den Markt bringen, die Kinderapotheke aber gerade auch bei schwerwiegenden Krankheiten wie Krebs, Rheuma oder Stoffwechselerkrankungen noch große Lücken aufweist. Daher müsse die Zahl der kindgerechten Arzneimittel erheblich gesteigert werden. Dafür müssten Wissenschaft und Industrie an einem Strang ziehen, und der gesetzliche Rahmen müsse stimmen, da Kinderstudien wesentlich aufwändiger als Studien mit Erwachsenen seien und für mehrere Altersgruppen durchgeführt werden müssen.

Prof. Hannsjörg Seyberth, DGKJ, zeigte sich in seinem Grußwort erfreut, dass seine jahrelangen Bemühungen zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei Kindern auf nationaler und europäischer Ebene endlich Erfolge zeigen. Die Rahmenbedingungen für pädiatrische Studien wurden mit der 12. AMG-Novelle verbessert, die europäische Zulassungsagentur EMEA habe eine spezielle Expertengruppe für Kinderarzneimittel (PEG) eingerichtet und die Kommission den Entwurf der Kinderverordnung vorgelegt.

Dr. Theo Schröder, Staatsekretär im BMGS, betonte in seinem Grußwort das hohe Interesse der Bundesregierung an geprüften Kinderarzneimitteln und verwies auf die Einrichtung von pädiatrischen Modulen zur Förderung von Kinderstudien. Er begrüßte den Entwurf der EG-Kinderverordnung, weil in diesem Bereich eine europäische Lösung erforderlich sei; dieser stelle einen fairen Kompromiss zwischen der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei Kindern und etwas höheren Kosten für das Gesundheitssystem durch die Anreize für die Hersteller dar.

Dagmar Roth-Behrendt, Mitglied des Europäischen Parlaments (EP), stellte anschließend den aktuellen Stand der EG-Verordnung zu Kinderarzneimitteln vor, die insbesondere zum Ziel habe, Arzneimittel mit neuen und bekannten Wirkstoffen bei Kindern zu prüfen und damit auch den Forschungs- und Entwicklungsstandort Europa international wettbewerbsfähig zu machen. Die europäische Arzneimittelagentur EMEA solle durch dieser Verordnung gestärkt werden und international eine führende Position im Bereich von Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche einnehmen. Der ihr zugeordnete Ausschuss für Kinderarzneimittel sei einerseits als maßgebliches Kontrollinstrument gedacht; um die notwendige Forschung mit Kindern sicher und für die breite Bevölkerung akzeptanzfähig zu machen, solle er die relevante Expertise der EU in diesem Bereich bündeln. Ergänzend zur EG-Kinderverordnung sei ein entsprechendes Forschungsprogramm (MICE) im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm vorgesehen.

Frau Roth-Behrendt unterstützte das vorgesehene Anreizsystem (Verlängerung des Ergänzenden Schutzzertifikates um 6 Monate bzw. zehn Jahre Unterlagenschutz) als Kompensation für die Verpflichtung der Industrie, künftig Arzneimittel auch für Kinder zu entwickeln. Die von manchen kolportierte hohe Belastung für die öffentlichen Gesundheitshaushalte bezeichnete sie als völlig überzogen. Bei den bereits bekannten Arzneimitteln müsse sichergestellt werden, dass die mit erheblichem Aufwand erhaltenen Zulassungen für Kinder nicht durch "Off label use" unterlaufen würden. Abschließend skizzierte sie den weiteren Zeitplan des Gesetzgebungsverfahrens: Anfang Dezember 2005 sei der Gemeinsame Standpunkt zu erwarten, der anschließend in alle EG-Sprachen übersetzt und Mitte 2006 in 2. Lesung vom EP verabschiedet werden könnte.

Dr. Sabine Scherer, BfArM, erläuterte Sicht der deutschen Bundesoberbehörde bezüglich der Zulassungsanforderungen und Initiativen zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung von Kindern. Einleitend stellte sie fest, dass der Bedarf an kindgerechten Arzneimitteln groß sei. Als Gründe hierfür nannte sie den kleinen Markt (15% d. Bevölkerung = 15 J.; wenige chronische Leiden), die Schwierigkeiten bei der Durchführung solcher Studien und ethische Bedenken. Die Übertragbarkeit von Studien an Erwachsenen auf Kinder sei durch pharmakokinetische und pharmakodynamische Unterschiede dieser Patientengruppen jedoch limitiert. Durch die Anwendung nicht ausreichend geprüfter Medikamente seien Kinder immer noch einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Nebenwirkungen oder ein Therapieversagen zu erleiden. Darüber hinaus werden therapeutische Fortschritte für Kinder nicht erschlossen. Deshalb sei die Verordnung überfällig und aus Sicht des BfArM nachdrücklich zu begrüßen. Durch die Neuregelungen zum Gruppennutzen im Rahmen der 12. AMG-Novelle habe der Gesetzgeber eine größere Beteiligung von Kindern an klinischen Studien auch in Deutschland ermöglicht. Abschließend verwies sie auf das EU-Worksharing-Projekt, bei dem die Firmen zur Einreichung vorliegender Kinderdaten aufgefordert wurden, die gemeinsam EU-weit ausgewertet werden.

Wolfgang Kaesbach, Bundesverband der Betriebskrankenkassen, stellte die Sicht der Krankenkassen bezüglich der Verbesserung der Arzneimittelsituation bei Kindern dar. Er sah die Industrie in der Pflicht, den Bedarf an kindgerechten Arzneimitteln zu decken und hielt die Anreize für nicht gerechtfertigt, da diese aus Sicht der Krankenkassen den entstehenden Forschungsaufwand überstiegen und es bereits jetzt Fördermaßnahmen für die Arzneimittelentwicklung wie die Verordnung zu Arzneimitteln gegen seltene Krankheiten gebe. Bei der ambulanten und stationären Versorgung von Kindern mit Arzneimitteln seien ihm weder Verordnungsprobleme noch rechtskräftige Regresse bekannt. Dessen ungeachtet würden auch die Krankenkassen die geplante Kinderverordnung begrüßen.

Hermine Nock, Bundesverband Herzkranke Kinder, beleuchtete die Chancen und Probleme aus Sicht der Eltern/Patienten. Sie forderte eine zügige Verabschiedung der EG-Verordnung auf europäischer Eben, deren Flankierung über das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (MICE) sowie auf nationaler Ebene die Einrichtung einer Bundesstiftung zur Förderung von Kinderstudien. Die Aufklärung bzw. Qualität der Informationen für Eltern und ggf. Kinder sollten verbessert und alle Studienergebnisse (auch negative) in einer öffentlich zugänglichen Datenbank publiziert werden, um Doppelstudien zu vermeiden. In die Ethik-Kommissionen in Deutschland sollte verstärkt der Sachverstand der Pädiater mit einbezogen werden, und an der Kinderkommission in Deutschland bzw. dem Ausschuss für Kinderarzneimittel bei der EMEA sollten Patientenvertreter mitwirken. Hilfreich könnte auch die Beteiligung von Patientenvertretern beim Design von Kinderstudien sein. Im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen in Deutschland zur Nutzenbewertung hob sie hervor, dass die Erhebung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands gerade bei kleinen Patientengruppen schwierig sei und daher bei seltenen Krankheiten Abstriche an der zu erbringenden "Evidenz" bei der Zulassung und Erstattung gemacht werden müssten. Abschließend prognostizierte sie eine überraschend hohe Bereitschaft von Eltern, ihre Kinder an Studien teilnehmen zu lassen.

Prof. Hannsjörg Seyberth, Vorsitzender der Kinderkommission der DGKJ, stellte die Chancen und Probleme bei der Implementierung für die pädiatrische Forschung vor. Zunächst ging er auf die wichtigsten Elemente des Entwurfs der Kinderverordnung ein, der Chancen in Bezug auf Verbesserungen der Qualität, der Evidenz, sowie der Patientenaufklärung und der Gewinnung von Studienteilnehmern biete und zu einem Innovationsschub für die klinische Forschung führen könnte. Problematisch seien aber insbsondere die ausgeprägten hierarchischen Strukturen, Defizite im Forschungsmanagement der Kliniken, die geringe Wertschätzung für klinische Studien, eine unterentwickelte klinische Pharmakologie und gravierende Ressourcenprobleme. Anschließend stellte er die Erwartungen an die verschiedenen "Stakeholders" vor, darunter eine Partnerschaft zwischen Industrie und Akademie (Training, Austausch, Kooperationen), Förderprogramme vom Staat, eine Unterstützung der Versorgungsforschung und eine Verbesserung der Pharmakovigilanz bei Kindern sowie Beiträge der Hochschulen und Fachgesellschaften wie die Erstellung von Bedarfsanalysen und Curricula für pädiatrische klinische Pharmakologen.

Dr. Hans Weber, Lilly Deutschland, befasste sich mit den Chancen und Problemen bei der Implementierung für die forschenden Arzneimittelhersteller. Am Beispiel der EG-Verordnung zu Arzneimitteln gegen seltene Krankheiten zeigte er auf, wie durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen innerhalb kurzer Zeit die Arzneimittelversorgung der Betroffenen nachhaltig verbessert werden konnte; eine solche "Erfolgsbilanz" erhoffe man sich auch für die EG-Verordnung zu Kinderarzneimitteln, die vom VFA nachdrücklich befürwortet werde. Herausforderungen gebe es im strukturellen, organisatorischen, medizinischen, technischen und praktischen, pharmazeutischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ethischen Bereich. Die Verordnung biete der Industrie jedoch auch eine Reihe von Chancen wie verbesserte Rahmenbedingungen für klinische Prüfungen bei Kindern, die Reduzierung des "Off-Label-Use" und damit die weitere Verbesserung der Anwendungssicherheit. Insgesamt weise der jetzige Entwurf der Kinderverordnung eine faire Balance zwischen neuen Verpflichtungen der Industrie und Anreizen für die pädiatrische Forschung auf. Wenn alle Beteiligten - Kinder, Eltern, Ärzte, Krankenhäuser, kooperative Studiengruppen, pharmazeutische Industrie und Politik - an einem Strang zögen, bestünden gute Chancen für eine nachhaltige Verbesserung der Arzneimittelversorgung der Kinder.

Fazit: Dieser Workshop gab einen sehr guten Überblick über den aktuellen Diskussionsstand zu den regulatorischen Anforderungen für Kinderarzneimittel. Weiterhin wurde deutlich, welche großen Herausforderungen auf die Wissenschaft, vornehmlich die Pädiater, und die forschenden Arzneimittelherstellern zukommen. Breiter Konsens bestand darin, dass diese nur durch eine intensive Zusammenarbeit zwischen Akademia und Industrie bewältigt werden können. Alle Teilnehmer unterstützten den Verordnungsentwurf und sprachen sich für eine schnelle Verabschiedung aus. Einig war man sich auch, dass die Diskussionen weitergeführt werden sollten, damit Deutschland eine angemessene Rolle in der pädiatrischen Forschung spielt.

Stand: 21.11.2005