Orphan Drugs - Fortschritte für Patienten mit seltenen Krankheiten
Der Orphan Drug Act in den USA
Im Jahre 1983 trat – nicht zuletzt auf Initiative von Betroffenengruppen – in den USA ein spezielles Gesetz in Kraft, das Unternehmen Anreize zur Entwicklung von Orphan Drugs bietet, der Orphan Drug Act. Seither können Forscher und Unternehmen, die sich um die Entwicklung von Medikamenten für seltene Krankheiten kümmern, staatliche Anreize in Anspruch nehmen. Voraussetzung dafür ist, dass in den USA nicht mehr als 200.000 Patienten an der Krankheit leiden, gegen die das neue Medikament eingesetzt werden soll. Ist dies der Fall, erhält der Antragsteller einen Bescheid über den Status des Arzneimittels als Orphan Drug, die sogenannte „designation“. Diese ist auch unabhängig von der Patientenzahl möglich, wenn nachgewiesen wird, dass die für die Entwicklung eingesetzten Mittel durch den Verkauf des Arzneimittels unter den normalen Marktbedingungen nicht wieder erwirtschaftet werden können.
Besonderheiten klinischer Prüfkriterien mit wenigen Patienten
Bei weitverbreiteten Krankheiten sind klinische Studien mit einigen hundert oder mehreren Tausend Teilnehmern üblich. Im Gegensatz dazu können bei der Prüfung von Orphan-Arzneimitteln auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit häufig nur wesentlich weniger Patienten einbezogen werden, da von seltenen Krankheiten oft nur wenige Tausend oder sogar weniger als 100 Menschen in der gesamten EU betroffen sind. Für diese Fälle hat die Europäische Arzneimittelagentur EMEA mithilfe ihrer Experten eine Leitlinie erstellt, in der Alternativen zu den sonst für die Zulassung
geforderten, großen randomisierten, kontrollierten klinischen Studien aufgezeigt werden (randomisiert bedeutet, dass eine rein zufällige Verteilung der Patienten auf die Gruppen vorgenommen wird, die mit dem neuen Arzneimittel bzw. auf die bisherige Weise behandelt werden). Darin wird betont, dass auch für kleine Studien im Prinzip die gleichen Anforderungen wie für große gelten, wobei besonders große Sorgfalt auf folgende
Punkte gelegt werden muss:
- Auswahl geeigneter Modelle zur Prüfung
der Wirkungen des Prüfarzneimittels
vor Beginn der Prüfungen am Menschen - Auswahl geeigneter Prüfkriterien für
die Erfolgsmessung, z.B. Verbesserung
der Lebensqualität oder Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung - statistische Methoden zur Auswertung
der Ergebnisse von klinischen Studien
Sind klinische Studien ausnahmsweise nicht möglich, kann auch eine Zulassung auf Basis von sehr gut dokumentierten Berichten über einzelne Behandlungsfälle erteilt werden, wenn danach weitere Belege für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Präparates erbracht werden.
Suchportal für klinische Studien mit deutscher Suchfunktion unter http://clinicaltrials.ifpma.org
Ab dem Zeitpunkt der Zuerkennung können über die normale Abschreibung der Forschungskosten hinaus noch einmal 50 Prozent aller für die klinische Forschung aufgewendeten Mittel steuerlich geltend gemacht werden. Nicht nur die großen forschenden Arzneimittelhersteller sind so zur Orphan-Drug-Entwicklung animiert worden. Auch innovativen kleineren Firmen wird die Entwicklung von Orphan Drugs erleichtert. Solche Unternehmen sind oft spezialisiert auf die Erfindung und präklinische Entwicklung von Arzneimitteln, also ihre Prüfung und Optimierung im Labor. Doch Laborversuche reichen nicht für die Entwicklung eines Arzneimittels. An bis zu 10.000 Menschen wird ein Arzneimittelkandidat typischerweise in den verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung getestet. Bei Orphan Diseases akzeptieren die Zulassungsbehörden aber erheblich kleinere Studien. Vor allem Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des potenziellen Arzneimittels müssen die Hersteller in diesen Studien überprüfen. Klinische Prüfungen von Orphan-Arzneimitteln stellen aufgrund der geringen Patientenzahl eine große Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen Kinder Patienten sind. Dadurch ist die Suche nach genügend Teilnehmern für Studien besonders schwierig, sodass oft sehr viele Kliniken oder Arztpraxen in mehreren Ländern einbezogen werden.
Der Orphan Drug Act sieht auch vor, dass die klinische Forschung mit Orphan Drugs durch die amerikanische Zulassungsbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), unterstützt wird. Dadurch ist sichergestellt, dass alle Untersuchungen in Übereinstimmung mit den Regularien der Zulassungsbehörde durchgeführt werden. Durch diese umfassende „protocol assistance“ sparen Orphan-Drug-Entwickler viel Zeit und Geld. Darüber hinaus steht dem Office of Orphan Products Development jährlich ein zweistelliger Millionenbetrag zur direkten Unterstützung einzelner klinischer Forschungsprojekte zur Verfügung. Auf Antrag kann ein Unternehmen bis zu drei Jahre lang jährlich 200.000 US-Dollar als Zuschuss bekommen. Dies ist besonders für kleinere Unternehmen und private Forschungsinstitute interessant. Orphan Drugs müssen wie alle anderen Arzneimittel den Anforderungen in Bezug auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit entsprechen. Sie werden im Zulassungsverfahren genauso streng geprüft wie normale Präparate. Trotzdem erfolgt die Zulassung oft vergleichsweise schnell; denn angesichts der geringen Patientenzahlen sind auch die zu prüfenden Unterlagen meist weniger umfangreich.
Als wirkungsvollster Anreiz zur Förderung der Orphan-Drug-Entwicklung hat sich die Exklusivitätsklausel bei der Vermarktung zugelassener Orphan
Drugs erwiesen. Wenn ein Arzneimittel gegen eine seltene Krankheit zugelassen worden ist, garantieren die Behörden einen weitreichenden Schutz: Gegen die gleiche Krankheit werden sieben Jahre lang keine vergleichbaren Präparate zugelassen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der wegen der Seltenheit der Krankheit begrenzte Markt exklusiv von einem Anbieter bedient werden kann. Diese Exklusivität gilt nicht für die Zuerkennung als Orphan Drug: Für eine Indikation kann es durchaus mehrere Zuerkennungen geben; das Recht auf exklusive Vermarktung erhält aber immer derjenige Arzneimittelentwickler, dessen Produkt als erstes zugelassen wurde. Weitere Präparate mit dieser Indikation erhalten die Zulassung nur, wenn sie nicht mit dem bestehenden Orphan Drug vergleichbar sind, z. B. einem anderen Wirkprinzip folgen, besser wirken oder weniger Nebenwirkungen aufweisen.
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