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Die Kinderapotheke auffüllen

Intensivbehandlung Neugeborener: mehr Medikamente mit spezieller Zulassung benötigtAllein seit Januar 2008 wurden 29 Arzneimittel und Darreichungsformen speziell für Kinder und Jugendliche zugelassen, und zahlreiche Impfstoffe sowie Medikamente zum Beispiel gegen Diabetes und Krebs bei Kindern sind in der Entwicklung. Die Versorgung von Kindern mit an ihnen geprüften Arzneimitteln ist im Falle häufiger Krankheiten gut. Und dennoch hat die Kinderapotheke Lücken, insbesondere wenn es um Arzneimittel für die Intensivbehandlung oder für Früh- und Neugeborene geht. Seit Jahren fordern Eltern und Kinderärzte, diesen Zustand zu beheben, seit Jahren setzen sich auch die forschenden Arzneimittelhersteller dafür ein. Die Gründe für diese Lücken sind vielschichtig; die Lösung des Problems kann deshalb nur aus einem Bündel von Maßnahmen bestehen.

Arzneimittel für Kinder zu erforschen und zu entwickeln ist besonders kompliziert, aufwendig und kostspielig. Jede Altersgruppe vom Früh- und Neugeborenen bis zum Jugendlichen ist anders und erfordert eine angepasste Dosierung - und oft auch eine angepasste Darreichungsform eines Medikamentes. Für jede einzelne Altersgruppe sind eigene klinische Prüfungen erforderlich, und an diesen Prüfungen müssen Kinder teilnehmen.

Doch gerade die Teilnahme von Kindern an klinischen Prüfungen ist ein hochsensibles Thema. Viele Eltern schrecken davor zurück, aus Angst, ihre Kinder würden als Versuchskaninchen eingesetzt. Es ist verständlich, dass Eltern ihre Kinder vor jeglichem Risiko bewahren wollen. Gleichzeitig möchten sie aber auch gewiss sein, dass ihre Kinder mit kindgerechten Medikamenten behandelt werden. Fakt ist auch, dass Patienten in klinischen Prüfungen besser überwacht werden als in der medizinischen Normalversorgung. Dies ist leider viel zu wenig bekannt. Wir brauchen also mehr Aufklärung und Information, damit Vorurteile abgebaut und Vorteile deutlich werden - und damit die Akzeptanz von solchen Prüfungen steigt.

Doch mit Aufklärungsarbeit allein ist es nicht getan. Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Hier hat sich in den letzten Jahren bereits viel getan, aber in einigen Punkten besteht noch weiterer Verbesserungsbedarf:

Infrastruktur für klinische Prüfungen: Im Rahmen der Fördermaßnahme des Bundesforschungsministeriums zur Verbesserung der Infrastruktur für die Durchführung klinischer Studien wurden an fünf der zwölf dafür eingerichteten Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) zusätzlich so genannte pädiatrische Module etabliert. Diese sollen durch Bereitstellung der speziell für Kinderstudien benötigten Infrastruktur die Durchführung zulassungsrelevanter Arzneimittelstudien erleichtern und damit die Arzneimittelversorgung von Kindern verbessern. Im Hinblick auf den zu erwartenden Anstieg der Zahl der Kinderstudien sollten diese pädiatrischen Module weiter ausgebaut werden.

Arzneimittelgesetz: Nach den bis zum August 2004 geltenden Bestimmungen musste ein Kind einen direkten Nutzen von einer klinischen Prüfung haben. Bei enger Interpretation dieses direkten Nutzens waren in Deutschland bestimmte klinische Prüfungen nicht zulässig, zum Beispiel wenn in einer klinischen Prüfung zusätzliche Blutentnahmen zur Gewinnung von Daten über die Verteilung und den Abbau eines Wirkstoffs erforderlich waren oder eine solche Prüfung gegen Placebo, das heißt gegen ein Scheinmedikament durchgeführt werden sollte. Letzteres ist dann angezeigt, wenn sich noch kein zugelassenes Medikament als Standardtherapie etabliert hat, mit der das neue verglichen werden könnte.

Auf europäischer Ebene war im Rahmen der Diskussion um die Richtlinie zur Harmonisierung klinischer Prüfungen in der EU ein Kompromiss zwischen allen Parteien und Mitgliedstaaten gefunden worden, um wichtige und notwendige Prüfungen bei Kindern zu ermöglichen. Danach wird ein Gruppennutzen für klinische Prüfungen bei Minderjährigen befürwortet. Gruppennutzen heißt, dass eine klinische Prüfung zwar nicht unbedingt jedem Prüfungsteilnehmer, wohl aber der entsprechenden Patientengruppe zu Gute kommt. Diese Regelung, die an strikte Voraussetzungen geknüpft ist, wurde inzwischen für die Prüfung von Arzneimitteln zur Behandlung von Kindern im Rahmen der 12. Novellierung des deutschen Arzneimittelgesetzes in deutsches Recht übernommen. Für vorbeugend wirkende Arzneimittel wie z.B. Impfstoffe verbleibt es dagegen bei der bisherigen Regelung. Ein neuer Impfstoff darf also in Deutschland nicht mit einem Scheinimpfstoff verglichen werden - wohl aber in anderen EU-Mitgliedstaaten. Dies ist nach Ansicht des vfa nicht nachzuvollziehen.

Prioritätenliste auf europäischer Ebene: Die Arbeitsgruppe für Kinderarzneimittel bei der europäischen Zulassungsagentur EMEA in London erstellt derzeit Prioritätenlisten für einzelne Krankheitsbilder, in denen angegeben wird, bei welchen konkreten Wirkstoffen die Entwicklung und Zulassung kindgerechter Arzneimittel besonders dringlich sind. Unnötige Doppelstudien und Zeitverzögerungen sollen vermieden werden, indem geprüft wird, welche klinischen Daten bereits vorliegen oder gerade erarbeitet werden. Neue Studien sollen so gut aufeinander abgestimmt werden, dass möglichst viele Fragestellungen mit möglichst wenigen Studien beantwortet werden. Denn in jedem Falle gilt: Die Kinder dürfen nur so wenig belastet werden wie nötig. Deshalb soll bei den Studien auch eine für Kinder vertraute und angstfreie Atmosphäre geschaffen werden.

Einwilligung: Bevor ein Kind an einer klinischen Prüfung teilnehmen kann, müssen beide Elternteile nach entsprechender Aufklärung einwilligen, wobei der Wille des Kindes mit zu berücksichtigen ist. Angesichts der zahlreichen Patchwork-Familien ergibt sich daraus häufig ein Problem. Deshalb sollte überlegt werden, ob nicht in Akutfällen die Einwilligung eines Elternteils neben der Zustimmung des Kindes ausreicht.

Ökonomische Anreize für die Industrie: Auch wenn die Unternehmen willens sind, die Lücken in der Kinderapotheke zu schließen, so müssen diese Projekte zumindest einen Teil ihrer Kosten wieder einbringen. Bereits im Jahr 2000 hat der Verband Forschender Arzneimittelhersteller die Hemmnisse für die Entwicklung von Arzneimitteln für Kinder analysiert und dabei auch Vorschläge für Anreize wie die Verlängerung des Schutzes vor Nachahmer-Präparaten unterbreitet, wenn ein Unternehmen kindgerechte Arzneimittel oder Darreichungsformen entwickelt oder in Studien nachweist, dass vorhandene Arzneimittel auch für Kinder geeignet sind. Derartige Anreize helfen, die Situation zu verbessern, wie die Erfahrungen in den USA eindrucksvoll gezeigt haben.

Die Europäische Kommission hat Anfang 2004 den Entwurf einer Verordnung für Arzneimittel für Kinder vorgelegt, der solche Regelungen enthält. Diese Verordnung ist nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren am 26. Januar 2007 in Kraft getreten. Sie erlegt den Firmen eine ganze Reihe von Verpflichtungen auf, für die als Ausgleich eine sechsmonatige Verlängerung des Patentschutzes bzw. bei bereits bekannten Arzneimitteln Unterlagenschutz gewährt werden kann.
Erste Erfahrungen zeigen, dass die EG-Verordnung zu Kinderarzneimittel hier wichtige und richtige Impulse gesetzt hat und dazu beigetragen hat, die Sicherheit der Arzneimitteltherapie von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Probleme, die sich z.B. aus der Umsetzung der Vorgaben in den europäischen Mitgliedsstaaten aufgezeigt haben, sollten nun gemeinschaftlich angegangen werden.
Der vfa unterstützt diese Ansätze und erwartet auch für die Zukunft weitere Impulse für diesen wichtigen Bereich.
Die Mitgliedsunternehmen des vfa werden nach Kräften daran mitwirken, dieses Instrument sachgerecht im Sinne der Kinder zu Nutzen. Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und Studien mit Kindern sind Studien für Kinder.