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Offener Brief des vfa an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe

Die Diskussion über ein Arzneimittelinformationssystem gewinnt an Fahrt. GKV-Spitzenverband und vfa streiten. Nicht über das „ob“. Für die umfassende Information der Ärzte sind beide. Der GKV-Spitzenverband beansprucht dabei aber eine allgemeine Deutungshoheit, die dem vfa zu weit geht. Vor allem ist es für den Verband der forschenden Pharma-Unternehmen ein Alarmsignal, wie der Spitzenverband der Kassen diese Diskussion führt. Indem er in sinnentstellender Weise Fragen der Arzneimittelsicherheit und der Arzneimittelbewertung miteinander verknüpft, schürt er Ängste der Patienten, um seine politischen Ziele zu erreichen. Das geht dem vfa zu weit und deshalb hat es sich an den Bundesgesundheitsminister gewendet.

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

mit großem Befremden müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der GKV-Spitzenverband eine Öffentlichkeitsarbeit betreibt, die mit falschen Fakten in unverantwortlicher Weise die Patienten verunsichert. Wir fordern den GKV-Spitzenverband daher nachdrücklich zur Versachlichung der Debatte auf und bitten Sie, dies im Rahmen ihrer Aufsichtsfunktion zu unterstützen.
Mit der Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbands vom 25.05.2016 zum Thema „Industrieneutraler Wissenstransfer für Ärzte nötig“ wer-den falsche Fakten und Schlussfolgerungen verbreitet, die dringend klarzustellen sind.

  1. Falsch ist, dass Patienten „ggf. mit schweren Nebenwirkungen“ rechnen müssen, weil sie „schlimmstenfalls Arzneimittel ohne Zusatznutzen“ erhalten. Das ist eine unhaltbare Behauptung, die jeder medizinischen Grundlage entbehrt, die Rolle der Zulassung als Garanten eines positiven Risiko-Nutzenverhältnisses ignoriert und zu einer hohen Patientenverunsicherung führt.

    Richtig ist: Arzneimittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen sind zumindest genauso gut wie der vom G-BA benannte Versorgungsstandard. Oftmals sind diese Arzneimittel sogar die bessere Versorgungsalternative für Patienten. Inzwischen sind Fälle belegt, in denen der Zusatznutzen in einer frühen Bewertung zunächst nicht nachgewiesen wurde, dann aber in einer späteren Bewertung doch als „erheblich“ bewertet wurde. Damit wäre vielen Patientinnen und Patienten über Jahre hinweg ein Arzneimittel mit Zusatznutzen vorenthalten worden. Auch aus Sicht der Ärztlichen Fachgesellschaften haben viele Arzneimittel, bei denen der GB-A den Zusatznutzen als nicht belegt eingestuft hat, dennoch einen bedeutenden Patientennutzen und therapeutischen Stellenwert in der Versorgung.

    Richtig ist auch, dass Medikamente Nebenwirkungen haben können. Diese Nebenwirkungen treten Patienten-individuell auf. Sie sind keinesfalls auf Arzneimittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen beschränkt, sondern können auch Patienten betreffen, die ein von den Kassen präferiertes Medikament erhalten. Hätte ein neues Arzneimittel tatsächlich mehr Nebenwirkungen als die vom G-BA ausgesuchte Vergleichstherapie, würde dies zu einer Herabstufung des Zusatznutzens bis hin zu der Kategorie „geringerer Nutzen“ führen.
  2. Falsch ist, dass „für die Krankenkassen neue Arzneimittel im Regelfall teurer sind als die bisherigen Standardtherapien“.

    Richtig ist: Wenn ein Medikament keine Überlegenheit gegen-über der vom G-BA gewählten Vergleichstherapie nachweisen konnte, regelt das Gesetz, dass es nicht teurer sein darf als die „wirtschaftlichste“ Vergleichstherapie. Für Wirtschaftlichkeit wird also durch regulative Vorgaben beim Preis gesorgt.
  3. Falsch ist, dass Ärztinnen und Ärzte ohne ein Informationssystem – also in der aktuell gültigen Realität – „neue Arzneimittel weder therapeutisch sinnvoll noch wirtschaftlich verordnen können“.

    Richtig ist: Auch heute schon verordnen Deutschlands Ärztinnen und Ärzte in höchstem Maße verantwortungsvoll und therapeutisch sinnvoll Arzneimittel. Die vom GKV-Spitzenverband öffentlich vorgetragenen sachlich unhaltbaren Unterstellungen führen zu einer unverantwortlichen Verunsicherung der deutschen Patienten.

    Die forschenden Arzneimittelhersteller begrüßen ausdrücklich alle Ansätze, die dazu führen können, den Ärztinnen und Ärzten noch besser als bisher alle vorhandenen Informationen über den Nutzen von Arzneimitteln zur Verfügung zu stellen. Dabei sollte es selbstverständlich grundlegend sein, dass die Informationen vollständig und unmissverständlich sind und dass die ärztliche Therapiefreiheit nicht eingeschränkt wird. Ein Arztinformationssystem darf nicht – wie es der GKV-Spitzenverband offenbar zu interpretieren versucht – primär als Kostensteuerungsinstrument der Krankenkassen dienen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, Verordnungen von Arzneimitteln ohne nachgewiesenen Zusatznutzen seien unwirtschaftlich oder unzweckmäßig. Entsprechend der AMNOG-Logik ist unmissverständlich klar, dass Arzneimittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen gleich gut und nicht teurer sind, so dass der Arzt nach rein medizinischen Kriterien das individuell am besten geeignete Arzneimittel auswählen kann. Wir sehen dieses sehr sinnvolle Grundprinzip des AMNOG als akut gefährdet an, wenn der GKV-Spitzenverband fordert: „Ein Ampelsystem könnte hier eine einfache und sichere Orientierung bieten. Die ärztliche Entscheidung würde an die Krankenkasse übermittelt. Sie kann nun indikationsspezifisch und patientengruppengenau das Versorgungsgeschehen entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag monitorieren, analysieren sowie die Beratung von Ärzten und Patienten gestalten“.

    Diese Darlegung heißt nichts anderes als eine Verlagerung der Therapiefindung und -entscheidung von den Ärzten auf die Kassen, was nicht im Interesse der Patienten und einer qualitätsgesicherten Gesundheitsversorgung in Deutschland sein kann.

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

im Interesse der Sicherung einer adäquaten Arzneimittelversorgung in Deutschland bitten wir Sie, auf den GKV-Spitzenverband dahingehend einzuwirken, dass er zu einer Versachlichung der Debatte um ein Arztinformationssystem beiträgt und gezielte Verunsicherungen der Patienten sowie unsachliche Diffamierungen der Ärzte und der forschenden Pharmaindustrie unterlässt.