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Medizinische Versorgung als erstes Opfer des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes?

Der Deutsche Bundestag hat im Oktober 2022 das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist es, die angeschlagenen Krankenkassen finanziell zu stabilisieren. Zu diesem Zweck wird in zahlreiche Bereiche des Gesundheitswesens eingegriffen. Auch in den Arzneimittelsektor.

Leerer Krankenhausflur. In der Ferne sieht man zwei Mitarbeitende.

Die wichtigsten pharmarelevanten Regelungen des Gesetzes sind:

  • Neue, restriktive Preisbildungsvorgaben für die Erstattungsverhandlungen für den Fall, dass kein, ein geringer oder ein nicht quantifizierbarer Zusatznutzen im Vergleich mit einer patentgeschützten Vergleichstherapie erkannt wurde.
  • Absenkung der Umsatzschwelle für Orphan Drugs auf 30 Millionen Euro.
  • Zusätzlicher Pflicht-Abschlag auf alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die in Kombination gegeben werden, in Höhe von 20 Prozent. Ausgenommen sind Arzneimittel mit mindestens beträchtlichen Zusatznutzen.
  • Rückwirkende Geltung des Erstattungsbetrags ab dem 7. Monat für Neueinführungen sowie für alle neuen Anwendungsgebiete.
  • Erhöhung des Herstellerabschlags für 2023 um 5% und Verlängerung des Preismoratoriums bis 2026.
  • Die Auswirkungen der AMNOG-Eingriffe sollen mit Blick auf die Versorgung und den Standort evaluiert werden. Ein entsprechender Bericht wird dem Bundestag bis Ende 2023 vorgelegt.

Die GKV wurde in den letzten Jahren immer nur „auf Sicht“ refinanziert und strukturelle Reformen tunlichst vermieden. So auch diesmal! Wir kritisieren an dem im Oktober 2022 verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, dass die Pharmaindustrie überhaupt zur Refinanzierung der GKV herangezogen wird, denn sie ist für deren aktuelle Defizite nicht verantwortlich. Und im Huckepack werden auch noch massive strukturelle Eingriffe in das Erstattungssystem vorgenommen, die gravierende Begleitschäden für die medizinische Versorgung anrichten. Das ist sicher keine Werbung für den Innovationsstandort Deutschland, wenn neue Arzneimittel ausgerechnet hier ausgebremst werden.

Warum der Gesetzgeber für eine Vielzahl kleiner Sparbeiträge im Arzneimittel-Erstattungssystem große Versorgungsrisiken in Kauf nimmt, bleibt sein Geheimnis. Warum soll etwa belegter Zusatznutzen mit Preisabschlägen versehen werden? Auch geringer Zusatznutzen ist ein Treiber des medizinischen Fortschrittes und im Rahmen eines Zyklus mehrerer Schrittinnovationen die Basis für relevante Verbesserungen, etwa bei Überlebenszeiten von Menschen mit Krebs.
Auch die Veränderung der sehr erfolgreichen Regelungen zu seltenen Erkrankungen ist äußerst riskant. Denn es war jahrelang Konsens, dass dieser Arzneimittelbereich, besondere Regelungen braucht. Diese wieder zu verändern, kaum dass sich Erfolge einstellen, erscheint undurchdacht und voreilig.

Und warum im ohnehin notorisch komplizierten Erstattungsrecht für Arzneimittel bei den Kombinationen eine Neuregelung geschaffen wird, deren Wechselwirkungen untereinander und mit bestehenden Normen nicht planbar sind, ist ebenfalls nicht klar.

Unter dem Strich dürfte die Arzneimittelversorgung in Deutschland mit diesen Regelungen zukünftig nicht besser werden. Denn natürlich stehen auch die Erstattungsbedingungen von Arzneimitteln im internationalen Wettbewerb: Attraktivere Gestaltungen ziehen Innovationen eher an als unattraktivere Gestaltungen. So könnten die künftigen Verschlechterungen und Verkomplizierungen dazu führen, dass nicht jedes neue Arzneimittel fast automatisch auch in Deutschland sehr schnell auf den Markt kommt.