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Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz - AABG) Bundestagsdrucksache 14/7144

Einleitung

Der Entwurf des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes - AABG - sieht ein umfangreiches Sparpaket für den Arzneimittelsektor vor, um dem finanziellen Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entgegenzuwirken. Die geplanten Maßnahmen - Preisabsenkung, Aut-idem-Substitution, Verordnungsempfehlungen zu Schrittinnovationen, Vorgaben für den Krankenhausentlassungsbericht - sind in vielfacher Weise verfehlt und kontraproduktiv. Sie beeinträchtigen die Arzneimittelversorgung der Patienten und schaden dem Pharmastandort Deutschland nachhaltig. Zudem sind die geplanten Regelungen des AABG in rechtlicher, insbesondere in verfassungsrechtlicher Hinsicht bedenklich.

Die Krankenkassen selbst beklagen, dass sie durch neue Gesetze, gerichtliche Entscheidungen und die Rentenreform finanziell unter großem Druck geraten sind. Gesetzliche Neuregelungen allein aus den letzten drei Jahren belasten die GKV mit zusätzlich 6 Mrd. DM pro Jahr. Die finanziellen Schwierigkeiten der Krankenkassen sind also in erster Linie durch Entscheidungen der Bundesregierung verursacht.

Der Hinweis auf die steigenden Arzneimittelausgaben der GKV (1. Halbjahr 2001: +11%), die auch nach Angaben des Gesetzentwurfs nur für einen Teil des GKV-Defizits verantwortlich gemacht werden, lenkt von den eigentlichen Ursachen der Finanzmisere ab. Zum einen haben die Arzneimittel lediglich einen Anteil von 15,5 % an den GKV-Gesamtausgaben. Zum anderen resultiert der Ausgabenzuwachs auf dem Pharmasektor in einem erheblichen Maße daraus, dass allmählich die vorhandene Unterversorgung mit innovativen Arzneimitteln abgebaut wird. Die bestehenden Versorgungsdefizite hat nicht nur der VFA mit seiner Unterversorgungsdokumentation belegt, sondern soeben erst auch der Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen bestätigt.

Die Unterversorgung zu beseitigen, ist politisch zu Recht gewollt. Schließlich ist der Umsatzzuwachs auf dem deutschen Pharmamarkt keine singuläre Erscheinung. Weltweit schlägt der therapeutische Fortschritt zu Buche. In anderen vergleichbaren Industrieländern steigen die Arzneimittelausgaben stärker als in Deutschland; im internationalen Maßstab ist die Umsatzentwicklung hierzulande unterdurchschnittlich (12-Monatswerte Juni 2001: Deutschland + 9 %, USA + 16 %, Kanada + 15 %, Italien + 12 %, Spanien + 10 %, Australien/Neuseeland + 14 %).

Davon abgesehen schwächt sich die Umsatzentwicklung auf dem deutschen Arzneimittelmarkt inzwischen ab. Der Umsatzzuwachs verringerte sich im September auf 5 %. Insofern scheinen sich bereits die regionalen Zielvereinbarungen im Vorgriff auf das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz - ABAG - bemerkbar zu machen.

Zu Artikel 1 (Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)

Zu Nr. 1 (Änderung von § 73 Abs. 5 - Aut-idem-Substitution)

Der Gesetzentwurf will die generelle Aut-idem-Substitution durch den Apotheker einführen und damit erreichen, dass der Patient nicht das vom Arzt verordnete Präparat, sondern statt dessen ein wirkstoffgleiches, billigeres Medikament erhält.

Die Tragweite der Gesetzesänderung ist völlig ungewiss. Die Aut-idem-Substitution soll dazu dienen, vermutete Einsparpotenziale im generikafähigen Marktsegment zu erschließen. Der Gesetzentwurf nennt ein Einsparvolumen von ca. 450 Mio. DM. Andererseits beziffert der Arzneiverordnungs-Report 2001 das Einsparpotenzial insgesamt auf über 3 Mrd. DM. Diese beiden ganz unterschiedlichen Größenordnungen sind nicht miteinander in Einklang zu bringen, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Aut-idem-Substitution im unteren Preisdrittel stattfinden und mindestens fünf Präparate umfassen soll - und vom Arzt ausgeschlossen werden kann. Entweder ist das Einsparvolumen im Gesetzentwurf extrem zu niedrig angesetzt, oder aber das im Arzneiverordnungs-Report 2001 behauptete Einsparpotenzial ist weit übertrieben. Zudem ignoriert die geplante Regelung, dass Deutschland weltweit den höchsten Generika-Anteil am generikafähigen Arzneimittelmarktsegment hat und der Preiswettbewerb aufgrund des ausgeprägten Generika-Wettbewerbs hart ist.

Die Aut-idem-Substitution bedeutet, dass der Apotheker entscheidet, welches billige Arzneimittel der Patient bekommt. Das kann dazu führen, dass dem Patienten in jeder Apotheke ein anderes Präparat ausgehändigt wird. Gerade bei einer Dauerbehandlung droht dies die Therapietreue (Compliance) zu beeinträchtigen, wenn der - womöglich alte und multimorbide - Patient in der einen Apotheke grüne Pillen, in der anderen Apotheke gelbe Tabletten und in der dritten Apotheke weiße Dragees erhält.

Außerdem wird die Nebenwirkungserfassung und -zuordnung erschwert, wenn nicht gar vereitelt, falls etwa ein Patient auf bestimmte Hilfs-, Zusatz- oder Farbstoffe allergisch reagiert und im nachhinein nicht rekonstruiert werden kann, auf welches konkrete Präparat dies zurückzuführen ist. Die ärztliche Therapiekontrolle wird beeinträchtigt. Dies zeigt deutlich, wie nachhaltig die Aut-idem-Substitution in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingreift.

Es wird überdies nirgendwo dokumentiert, welches Medikament der Patient erhalten und angewendet hat. Dieses Vakuum kann im Hinblick auf die Arzneimittelsicherheit nicht hingenommen werden. Auf jeden Fall wird es dem Arzt nicht mehr möglich sein, unerwünschte Arzneimittel-Nebenwirkungen sachgerecht zu erfassen und weiterzugeben.

Erhebliche praktische und rechtliche Unwägbarkeiten wirft die Haftungsfrage auf, wenn der Arzt die Substitution nicht untersagt hat, der Apotheker ein im konkreten Fall ungeeignetes Medikament ausgewählt hat und der Patient zu Schaden gekommen ist. Juristisch ebenfalls problematisch ist die Aushöhlung der Marke eines Arzneimittels, indem dieses auf dem Verordnungsblatt zwar genannt wird, aber - sofern es nicht im unteren Preisdrittel rangiert - bewusst nicht abgegeben und eingesetzt werden darf.

Wenn der Gesetzgeber sich trotz aller Vorbehalte einer Aut-idem-Substitution nähern will, so muss eindeutig festgelegt werden, dass nur solche Arzneimittel substituiert werden dürfen, die patentfrei und generikafähig und nicht nur im Wirkstoff, sondern auch in den zugelassenen Indikationen, Stärke, Darreichungsform und Packungsgröße identisch sind. Außerdem muss die Aut-idem-Substitution bei solchen Präparaten unterbleiben, deren Verordnung spezialgesetzlichen Regelungen unterliegt.

Davon abgesehen ist die Substitution nicht als Regel-Ausnahme-Verhältnis zu gestalten, sondern vielmehr dem Arzt die ausdrückliche Entscheidung über Substitution oder Nicht-Substitution zu übertragen. Dies kann dadurch geschehen, dass auf dem Verordnungsblatt (Rezeptformular) zwei entsprechende Kästchen vorgesehen werden, von denen der Arzt eines zu markieren hat.

Auf jeden Fall sollte eine Aut-idem-Substitution auf die Behandlung akuter Erkrankungen begrenzt werden, um die Compliance möglichst wenig zu berühren. In praktischer Hinsicht läge nahe, allenfalls N1-Packungen für die Aut-idem-Substitution zuzulassen.

Angesichts der vielen problematischen Details einer Aut-idem-Subsitution - gravierende Unsicherheiten bestehen nicht nur in den finanziellen Auswirkungen, sondern auch in medizinischen und haftungsrechtlichen Konsequenzen - erscheint es letztlich angezeigt, auf eine generelle gesetzliche Regelung zu verzichten und die Ausgestaltung der Aut-idem-Substitution im Einzelnen im Rahmen der Zielvereinbarungen gemäß § 84 Abs. 1 SGB V (in der Fassung des ABAG) festzulegen.


Zu Nr. 2 (Änderung von § 92 Abs. 2 - Hinweise zu Analogpräparaten)

Der Gesetzentwurf will erreichen, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Verordnungsempfehlungen zu Innovationen gibt. Damit würde nach der Zulassung und der Positivliste eine weitere Hürde aufgebaut.

Verordnungsempfehlungen und Bewertungen des Bundesausschusses zu Innovationen sind - von allen wissenschaftlichen Problemen abgesehen - aus vielen Gründen abzulehnen.

Die Regelung geht unausgesprochen von der theoretischen Figur eines Standardpatienten aus, der in der Medizin jedoch eher die Ausnahme ist. Die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Therapie besteht darin, dass das richtige Arzneimittel den richtigen Patienten

erreicht. Für eine patientenorientierte Medizin benötigt der Arzt innerhalb eines Indikationsgebietes differenzierte Therapiemöglichkeiten. Diese Therapieoptionen erhält er durch die nach modernen Standards zugelassenen innovativen Arzneimittel.

Von diesem grundsätzlichen Aspekt abgesehen ist der Bundesausschuss ein Selbstverwaltungsgremium der Ärzte und Krankenkassen. Die Selbstverwaltung hat das Recht, eigene Angelegenheiten (der Ärzte und Krankenkassen) zu regeln. Sie darf aber nicht in die Rechte Außenstehender - wie der Arzneimittelhersteller - eingreifen. Dies haben die zuständigen Bundesministerien (Verfassungsressorts) bestätigt. Außerdem sind dazu Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof anhängig.

Durch die Empfehlungen des Bundesausschusses wird eine Diskriminierung und Ausgrenzung von Innovationen intendiert. Tatsächlich aber haben die Präparate im Rahmen der Zulassung ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unter Beweis gestellt. Eine weitere Bewertung ihres Nutzens kann zum Zeitpunkt der Zulassung nicht erfolgen. Die Arzneimittel müssen sich im Markt bewähren können. Dies würde durch eine weitere Hürde - über die drei Kriterien der Zulassung hinaus - verhindert. Eine zusätzliche Prüfung von Schrittinnovationen durch ein Gremium verbandspolitischer Interessenvertreter ist daher abzulehnen.

Zudem ist eine Diskriminierung von Schrittinnovationen völlig verfehlt. Schrittinnovationen sind das Ergebnis des Innovationswettbewerbs forschender Pharma-Unternehmen. Erfahrungsgemäß widmen sich oft mehrere Firmen etwa zeitgleich der Erforschung einer neuen Wirkstoffklasse. Abhängig davon, wie u. a. die klinischen Prüfungen und das Zulassungsverfahren zeitlich abgewickelt werden, kommt eine Substanz als erste dieser neuen Wirkstoffklasse auf den Markt (Erstsubstanz). Andere Substanzen folgen, nachdem sie die im Durchschnitt ein Jahrzehnt dauernde Erforschung, Entwicklung und Zulassung abgeschlossen haben.

Diese Schrittinnovationen unterscheiden sich von der Erstsubstanz häufig in der Indikation, im Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum und bei den Wechselwirkungen mit anderen Mitteln. So ermöglichen sie eine differenzierte und oft verbesserte Therapie. Ihr therapeutischer Wert lässt sich daran ablesen, dass die Hälfte der Medikamente der Essential Drug List der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Zeitpunkt ihrer Zulassung Analogpräparate waren, die sich im Vergleich zur Erstsubstanz als therapeutisch überlegen erwiesen haben.

Schrittinnovationen sind auch ökonomisch vorteilhaft. Sie lösen noch während der Patentlaufzeit der Erstsubstanz einen Preiswettbewerb aus. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) zeigt, dass Analogpräparate billiger sind als die Erstsubstanz - und zwar um durchschnittlich 15 % bei Analogpräparaten mit verbesserten

pharmakologischen Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien und um durchschnittlich
30 % bei Analogpräparaten mit marginalen Unterschieden zu eingeführten Wirkstoffen. Der Arzneiverordnungs-Report 2000 beziffert für 1999 die Preisvorteile der Analogpräparate sogar auf 43 % bzw. 60 %.

Auch rechtssystematisch ist die geplante Regelung verfehlt: Wenn man wertende Aussagen des Bundesausschuss zu Innovationen möchte, um einen Kontrapunkt zu den Aussagen der Hersteller zu setzen - "Beseitigung der Informationsasymmetrie" -, müssen die Aussagen des Bundesausschusses in § 305 a SGB V geregelt werden und nicht in § 92 Abs. 2 SGB V.

Darüber hinaus ist der Wortlaut der Vorschrift zu weitgehend. Nach der Gesetzesbegründung sollen die Bewertungen vorrangig auf sogenannte Analogpräparate abzielen. Im Gesetzestext ist jedoch nicht nur von Arzneimitteln mit pharmakologisch vergleichbaren Wirkstoffen (Analogpräparaten) die Rede, sondern - weit darüber hinaus - auch von solchen mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung. Grundsätzlich gilt, dass eine valide Bewertung des therapeutischen Nutzens von Innovationen praktisch unmöglich ist; wenn überhaupt, so wären einigermaßen verlässliche Aussagen erst nach jahrelangen Erfahrungen mit den Präparaten denkbar. Noch waghalsiger ist es, eine Relation zwischen dem therapeutischen Nutzen und dem Preis herzustellen und auf dieser Basis eine Aussage zur Wirtschaftlichkeit zu machen.


Zu Nr. 3 (§ 115 c - Krankenhausentlassungsbericht)

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, dass im Krankenhausentlassungsbericht die für die ambulante Anschlussbehandlung erforderlichen Arzneimittel mit ihrem Wirkstoff angegeben werden. Falls darüber hinaus ähnliche Arzneimittel vorhanden sind, ist ein preisgünstigerer Therapievorschlag zu nennen. Auf diese Weise soll die Weiterverordnung des im Krankenhaus eingesetzten Originalpräparates erschwert, wenn nicht gar unterbunden werden.

Die Konsequenzen dieses bewussten Bruchs in der Arzneimitteltherapie können höchst problematisch sein. Wenn ein Patient im Krankenhaus optimal auf ein bestimmtes Präparat eingestellt worden ist, so drängt es sich geradezu auf, diese bewährte Therapie ambulant fortzusetzen. Ob der Patient ein anderes wirkstoffgleiches Medikament ebenso verträgt, ist zweifelhaft. Insofern hat es sich in der Vergangenheit bewährt, wenn im Krankenhausentlassungsbericht sowohl das angewendete Originalpräparat als auch die Wirkstoffbezeichnung genannt wurden. Der niedergelassene Arzt konnte dann entscheiden, wie er die Therapie fortsetzt.

Im Entlassungsbericht zusätzlich auf - nur - wirkstoff- oder wirkungsähnliche Arzneimittel hinzuweisen, würde voraussetzen, dass im Krankenhaus das gesamte auf dem Apothekenmarkt verfügbare Arzneimittelsortiment bekannt und zudem vorab geprüft und festgestellt worden wäre, dass für den Patienten zwei oder mehrere gleichwertige Therapiemöglichkeiten bestehen. Abgesehen davon, ob dies medizinisch überhaupt wahrscheinlich ist, wäre eine entsprechende Abklärung verschiedener Therapiewege auf jeden Fall zeit- und kostenaufwändig.

Die Verantwortung des Krankenhausarztes besteht darin, Patienten entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln und der ambulanten Versorgung zuzuführen. Der Klinikarzt kann jedoch nicht alle für die ambulante Führung des Patienten erforderlichen Therapieaspekte einschätzen. Das Arzneimittel muss vielmehr immer in diesem Gesamtzusammenhang gesehen werden. Deshalb muss die Verantwortung für die Arzneimittelentscheidung letztlich auch in der Hand des ambulant weitertherapierenden Arztes verbleiben. Jede Änderung würde vermehrt haftungsrechtliche Fragen aufwerfen.


Zu Nr. 4 (Änderung und Ergänzung von § 129 Abs. 2 - Auswahlbereich bei Aut-idem-Substitution)

Die Ablehnung gegenüber einer Aut-idem-Substitution ist bereits zu Nr. 1 dargelegt worden. Darauf wird verwiesen.

Die Einengung der Auswahlmöglichkeit auf das untere Preisdrittel - wenigstens aber fünf Arzneimittel - löst einen scharfen Kellertreppeneffekt aus. Wenn überhaupt ein Auswahlbereich definiert werden muss, so sollte er sich an den Kriterien des konsensual zustande gekommenen Festbetrags-Anpassungsgesetzes (FBAG) orientieren und so gestaltet sein, dass mindestens ein Drittel aller Verordnungen erfasst wird. Was bei den Festbeträgen als notwendig erachtet wurde, müsste auch im Hinblick auf eine Substitution gelten; anderenfalls wäre das SGB V in sich widersprüchlich. Mindestens müsste die untere Preishälfte als Auswahlbereich zur Verfügung stehen.

Im Übrigen kann eine definierte Abgrenzung des Substitutionsbereichs - unteres Preisdrittel, mindestens aber fünf Präparate - irreführend sein. Wie soeben im Zuge des Festbetragsanpassungs-Verfahrens deutlich wurde, ist eine erstaunlich hohe Zahl von Arzneimitteln zwar formal gelistet, tatsächlich aber nicht am Markt vorhanden. Das bedeutet, dass der Apotheker im unteren Preisdrittel bzw. aus den fünf billigsten Präparaten auszuwählen hat, ohne dass die Verfügbarkeit und Lieferfähigkeit der entsprechenden Medikamente sichergestellt ist.

Zu Artikel 2 (Preissenkung)

Der Preisabschlag soll festbetragsfreie verschreibungspflichtige Arzneimittel - dies sind in erster Linie innovative Präparate - betreffen. Deren Preise sollen um 4 Prozent gesenkt und für zwei Jahre eingefroren werden.

Ein staatlich vorgeschriebener Preisabschlag ist der massivste vorstellbare staatliche Eingriff und ordnungspolitisch unhaltbar. Mit einer staatlich erzwungenen Preissenkung greift der Gesetzgeber unmittelbar in die Marktpreisbildung der Arzneimittelhersteller ein. Die Marktpreisbildung für Innovationen hat einen guten Grund: Innovationen und Investitionen sollen gefördert werden. Insbesondere ausländischen Herstellern soll verdeutlicht werden: Der Patentschutz gilt in Deutschland uneingeschränkt. Dieses Signal darf nun nicht in sein Gegenteil verkehrt werden.

In keiner anderen Branche reglementiert der Staat unmittelbar die Preise. Für den Arzneimittelsektor darf nichts anderes gelten.

Der Eingriff in die Preisgestaltung reicht zudem weit über Deutschland hinaus. In zahlreichen ausländischen Staaten (z. B. Dänemark, Griechenland, Niederlande, Irland, Italien, Schweiz, Schweden; Saudi-Arabien; Japan) gelten die deutschen Preise als Referenzpreise für die dortigen Märkte. Wenn der Preis in Deutschland erzwungenermaßen sinkt, ist er entsprechend im Ausland zu reduzieren. Das Auslandsgeschäft der Pharma-Unternehmen - Deutschland ist weltweit der führende Arzneimittelexporteur - leidet also ebenfalls unter dem Preisabschlag.

Die Arzneimittelpreise sind nicht die Ursache der GKV-Defizite. Wie eine wissenschaftliche Untersuchung ergeben hat, rangieren die deutschen Arzneimittelpreise im europäischen Vergleich im unteren Drittel. Die Arzneimittelpreise sind auch stabil: Während in den vergangenen fünf Jahren die Kosten für die allgemeine Lebenshaltung um 5,5 % gestiegen sind, bleibe das Preisniveau der von der GKV erstatteten Medikamente mit plus 0,4 % nahezu gleich. Vor diesem Hintergrund begegnet die Regelung gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie unverhältnismäßig in die Grundrechte der Arzneimittelhersteller, insbesondere in die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Berufsfreiheit, eingreift.

Neben dieser ganz grundsätzlichen Kritik sind auch diverse weitere Einwände geltend zu machen.

Zum einen ist die Regelung nicht präzise und könnte den Anschein erwecken, z. B. Impfstoffe zu erfassen. Dies kann nicht gewollt sein, denn in rechtlicher Hinsicht unterfallen Impfstoffe bereits nicht dem Preisabschlag. Die Regelung des Artikel 2 AABG nimmt ausdrücklich Bezug auf den Versorgungsanspruch nach § 23 Absatz 1 des SGB V.

Schutzimpfungen sind als freiwillige Satzungsleistungen indessen ausdrücklich und abschließend in § 23 Absatz 9 SGB V geregelt. Die Leistung der Krankenkasse beruht insoweit auf der Satzung und nicht auf § 23 Absatz 1 Nr. 3 SGB V. Impfstoffe fielen außerdem weder unter das Arzneimittelbudget noch gehen Sie in die künftigen Ausgabenvolumina ein.

Zum anderen liegt der Stichtag 01.07.2001 zu weit in der Vergangenheit. Die Überlegungen über ein Einsparpaket entstanden im September 2001; darauf aufbauende mögliche Preisveränderungen hätten erst im Oktober realisiert werden können. Daraus würde sich als Stichtag der 01.10.2001 ableiten.

Völlig unzureichend geregelt ist die Herausnahme von überwiegend nicht zu Lasten der GKV verordneten Arzneimitteln aus dem Preisabschlag. Das Bundesverfassungsgericht fordert in dieser Hinsicht eine zielgenaue Lösung - die allerdings nicht gelungen ist. Die Ausnahmeregelung in Absatz 1 Satz 2 für festbetragsbetroffene Präparate sowie für Kontrazeptiva ist korrekt. Dagegen ist jedoch die weitere (allgemeine) Ausnahmeregelung in Absatz 3 Satz 2 missglückt.

Um eine Ausnahme vom Preisabschlag geltend machen zu können, benötigt ein Arzneimittelhersteller zunächst einmal Verordnungsdaten, um belegen zu können, dass der Umsatz eines bestimmten Präparates nicht überwiegend zu Lasten der GKV geht. Demgegenüber wird jedoch immer wieder versucht, dem pharmazeutischen Unternehmer derartige Daten vorzuenthalten - so ging ein Änderungsantrag zum ABAG in diese Richtung.

Das Kernproblem besteht freilich in der Inkompatibilität des Zeitplans für die Freistellung eines Präparates vom Preisabschlag. Nach der gesetzlichen Konstruktion muss ein pharmazeutischer Unternehmer einen - mit Verordnungsdaten der Jahre 2001 und 2002 untermauerten - Antrag auf Ausnahme an das Bundesministerium für Gesundheit stellen. Dieses hat darüber zu entscheiden. Aufgrund dieser Entscheidung meldet der Arzneimittelhersteller den Präparatepreis an die Informationsstelle für Arzneispezialitäten - IFA GmbH -, die die Preismeldung aufbereitet und an die Marktbeteiligten weitergibt. Dieses gesamte Verfahren von der Antragstellung eines Arzneimittelherstellers beim Bundesgesundheitsministerium bis zur Preismitteilung an die Apotheken dauert mindestens drei Monate, so dass ein Pharma-Unternehmen den entsprechenden Antrag spätestens Anfang Oktober hätte stellen müssen, damit der korrekte Preis am 1. Januar 2002 bekannt ist.

Dieser Zeitplan jedoch ist schon gar nicht mehr einhaltbar. Vor allem jedoch liegen Anfang Oktober 2001 natürlich die - für den Antrag geforderten - Verordnungsdaten des Kalenderjahres 2001 nicht vor; sie dürften frühestens im Februar 2002 verfügbar sein. Somit ist evident, dass die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Freistellung von Präparaten, die überwiegend nicht zu Lasten der GKV verordnet werden, vom Preisabschlag zum 1. Januar 2002 mit der geplanten gesetzlichen Konstruktion nicht realisiert werden kann.

Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Der Einleitung des Gesetzentwurfs zufolge werden sich durch das verabschiedete Gesetz keine Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte ergeben. Dies ist falsch. Im Vorentwurf war noch davon die Rede, dass durch den Preisabschlag und den geänderten Apothekenrabatt die Umsatzsteuereinnahmen um ca. 125 Mio. DM jährlich sinken und ein Steuerausfall in ähnlicher Größenordnung durch die Aut-idem-Substitution und die Empfehlungen zu Analogpräparaten zu erwarten sei. Schon diese Diskrepanz zwischen den Gesetzentwürfen befremdet.

Tatsächlich muss mit Umsatzsteuerausfällen von rund 600 Mio. DM sowie Ertragssteuerausfällen - namentlich bei der für die Kommunen bedeutsamen Gewerbeertragssteuer - gerechnet werden; zudem stehen wegen des negativen Beschäftigungseffekts Belastungen der Sozialversicherungen in Höhe von 550 Mio. DM an. Diese hohen Summen resultieren daraus, dass die Arzneimittelhersteller nicht nur die Regelungen des AABG betroffen werden, sondern auch durch die anstehende Festbetragsabsenkung und die ab April 2001 wirksame Abgabeverpflichtung von Parallelimporten.

Sparmaßnahmen zu Lasten der Arzneimittelhersteller und des Pharmastandorts Deutschland

Der Gesetzentwurf veranschlagt das Einsparvolumen für die Krankenkassen überaus zurückhaltend - und damit irreführend. Durch den Apothekenrabatt und den Preisabschlag erwartet er Einsparungen von etwa 1 Mrd. DM. Der Aut-idem-Substitution wird ein Einspareffekt von ca. 450 Mio. DM zugerechnet, den Empfehlungen zu Analogpräparaten ein Einsparpotenzial von etwa 600 Mio. DM.

Die Auswirkungen der angekündigten Sparmaßnahmen auf die Arzneimittelhersteller lassen sich nicht exakt beziffern. Mit Sicherheit sind sie aber viel gravierender als die im Gesetzentwurf genannten Einsparbeträge. Größenordnungsmäßig sind Umsatzverluste (Herstellerabgabepreis) in Höhe von fast 2 Mrd. DM durch die Aut-idem-Substitution, den Preisabschlag und durch die Empfehlungen zu Schrittinnovationen - neben den nicht zu beziffernden Auswirkungen der Vorgaben für den Krankenhausentlassungsbericht - zu befürchten. Diese Verluste sind aber nur ein Teil der Beeinträchtigungen. Was verschwiegen wird, sind die darüber hinaus bereits festgeschriebenen Belastungen.

Davon abgesehen führen nämlich die anstehende Festbetragsabsenkung und die ab April 2002 wirksame Abgabeverpflichtung für Parallelimporte zu hohen Umsatzverlusten. Es ist sicher, dass ein derartiger Einschnitt auf den Pharmastandort Deutschland und die Investitionen sowie Arbeitsplätze in der Pharma-Industrie massive Auswirkungen haben wird.

Ähnliche Maßnahmen der Bundesregierung im Jahre 1992 haben seinerzeit zu einem Verlust von 6.500 Arbeitsplätzen in den VFA-Mitgliedsfirmen geführt. Erst mit der Wiedereinführung der Marktpreisbildung für innovative Produkte hat es bei den forschenden Arzneimittelherstellern ab 1995 einen Arbeitsplatzzuwachs gegeben, der sich bis zum Jahr 2000 auf über 7 % aufaddiert hat. Diese positive Entwicklung würde jetzt abrupt beendet und wieder umgekehrt.

Mit den angekündigten Maßnahmen würde nunmehr in einer konjunkturellen Schwächephase praktisch ein Abbau von Arbeitsplätzen und Investitionen in einer der innovativsten Branchen provoziert. Dem Pharmastandort Deutschland würde ein unabsehbarer Schaden zugefügt. Das darf nicht sein.

Der Entwurf des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes - AABG - wird vom VFA abgelehnt.