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Entwicklungsprojekte für innovative Arzneimittel

Bessere Medikamente in Sicht: Perspektive 2017

Patienten und Ärzte hoffen auf bessere Behandlungsmöglichkeiten. Die Chancen dafür sind gut: Bis Ende 2017 können gegen mehr als 110 Krankheiten neue Medikamente herauskommen, insbesondere gegen verschiedene Krebsarten, Entzündungs-, Infektions- und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Das zeigt eine Umfrage des vfa unter seinen Mitgliedsunternehmen vom Mai 2013.

Im Rahmen dieser Umfrage berichteten die vfa-Mitglieder von 324 Projekten, die bis Ende 2017 in Deutschland (oder, im Falle von Malaria und Dengue-Fieber in einem der besonders betroffenen Länder) zur Zulassung eines neuen Medikaments oder eines neuen Anwendungsgebiets für ein schon bekanntes Medikament führen können. Voraussetzung ist natürlich, dass auch die letzten Entwicklungsetappen gut verlaufen.

  • Bei 65% dieser Projekte geht es um ein Medikament mit neuem, d.h. noch nicht zugelassenem Wirkstoff.
  • Bei 14% der Projekte wird ein Medikament erprobt, bei dem für einen bekannten Wirkstoff eine neue Darreichungsform (etwa ein Nasenspray statt einer Tablette) oder eine neue Kombination mit einem weiteren Wirkstoff entwickelt wird.
  • Bei 21% der Projekte wird ein bereits zugelassenes Medikament darauf geprüft, ob es gegen eine weitere Krankheit eingesetzt werden kann.

Fast alle diese Projekte durchlaufen derzeit die Erprobung mit Patienten (die sogenannten Phasen II oder III der klinischen Entwicklung) oder das Zulassungsverfahren für Deutschland bzw. Europa.

In den Projekten wird mit 238 verschiedenen Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen gearbeitet; 168 Wirkstoffe sind neu, waren also bisher noch nie Bestandteil eines zugelassenen Medikaments. Die Zahl der Projekte übertrifft die der Wirkstoffe, weil Unternehmen Wirkstoffe oft gleichzeitig gegen mehrere Krankheiten erproben.

Deutsche Kliniken und Praxen
An den klinischen Studien für 85% der genannten Projekte waren oder sind deutsche Kliniken oder Arztpraxen beteiligt. Nur wenige Projekte werden entweder vollständig außerhalb Deutschlands durchgeführt, oder über die Teilnahme deutscher Kliniken wurde noch nicht entschieden. Auch in den nächsten Jahren wird es also nur wenige Medikamente geben, an deren Entwicklung keine deutschen Ärzte und Patienten beteiligt waren! Dies zeigt, dass die forschenden Pharma-Unternehmen Deutschland als Standort für die klinische Erprobung von Arzneimitteln schätzen.

Schwerpunkte
Die Projekte, von denen die vfa-Firmen berichtet haben, betreffen mehr als 110 Krankheiten. Ein Drittel aller Projekte (33%) gelten der Verbesserung der Krebstherapie. 17% der Projekte betreffen Entzündungskrankheiten, die damit erstmals in der Geschichte der Pharmaforschung zum zweitgrößten Entwicklungsgebiet aufsteigen. 12% entfallen auf Infektionskrankheiten. Der Anteil der Projekte gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist mit 8% (2011: 11%) erstmals seit der Jahrhundertwende nur noch einstellig.

Dieses Kreisdiagramm lässt sich auch als pdf herunterladen.

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Insgesamt geht es bei 98% der Projekte um schwere, teilweise sogar lebensbedrohliche Erkrankungen. Nur 2% der Projekte betreffen die vergleichsweise leichteren Einschränkungen Inkontinenz, Wechseljahresbeschwerden und Bewegungsstörungen oder dienen einer kosmetischen Behandlung am Unterhautfett des Halses. Das zeigt, dass die forschenden Pharma-Unternehmen unverändert ihre Prioritäten an schweren Erkrankungen ausrichten.

Krebserkrankungen
Gegen Krebserkrankungen richten sich 106 der genannten Projekte (33% von allen). Das reflektiert nicht nur die Häufigkeit und Gefährlichkeit dieser Krankheiten (ca. 230.000 Todesfälle gab es in Deutschland 2011 laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, www.gbe-bund.de), sondern auch, dass sich die intensive Grundlagenforschung zu Krebs seit Ende der 1980er-Jahre auszahlt. Auf ihr basieren unter anderem zahlreiche zielgerichtete Krebsmedikamente (genannt Signalhemmer), die Tumorzellen daran hindern, auf vermehrungsfördernde Hormonsignale zu reagieren. Mehrere der kommenden Signalhemmer greifen an neuen Stellen in die Vorgänge in den Tumorzellen ein (etwa am „sonic-hedge-hog"-Signalweg oder an der Met-Kinase). Andere neue Mittel hindern Tumorzellen daran, sich auf eine Zellteilung vorzubereiten (z.B. Hemmstoffe der Cyclin-abhängigen Kinasen).

Das menschliche Immunsystem könnte eigentlich viele Tumore selbst bekämpfen, wenn es denn dafür „geweckt" würde – das allerdings wissen viele Tumore zu verhindern. Deshalb erproben Firmen neuartige Medikamente, die Immunzellen trotzdem in den Abwehrkampf einbeziehen sollen. Sie erzielen ihre Wirkung auf sehr unterschiedliche Weise: Bei einem anderen Medikament „alarmieren" Moleküle aus künstlicher DNA bestimmte Immunzellen (über den sogenannten TLR-9-Rezeptor). Ein weiteres Medikament enthält Proteine, die denen aus bestimmten Tumoren gleichen; es aktiviert damit das Immunsystem ähnlich wie eine Impfung. Zwei Krebsmedikamente schließlich enthalten Zellen, die vom Patienten selbst gewonnen und im Labor gentechnisch zur Krebsabwehr verändert werden.

Gegen Schwarzen Hautkrebs (Melanom) werden die meisten Projekte (insgesamt 11) durchgeführt, gefolgt von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC, 10 Projekte) und Brustkrebs (8). Die übrigen Projekte verteilen sich auf eine große Zahl zum Teil recht seltener Krebsarten, darunter die schwer behandelbaren Karzinome von Bauchspeicheldrüse (3 Projekte) und Eierstöcken (5 Projekte).

Viele der neuen Medikamente werden entwickelt, um Teil von Kombinationstherapien zu werden. Andere sollen eine Rolle im Rahmen einer Abfolge von medikamentösen Behandlungen spielen, bei denen jeweils das nächste Medikament zum Einsatz kommt, wenn das bisherige - oder die bisherige Kombination - den Tumor nicht mehr in Schach halten kann. Der Nutzen dieser Medikamente geht also weit über das hinaus, was sie alleine für den Patienten tun können.

Entzündungskrankheiten
Bei Entzündungskrankheiten kommt es durch ein fehlgesteuertes Immunsystem zu Entzündungen, ohne dass diese von Krankheitserregern hervorgerufen würden. Zu diesen Krankheiten zählen u.a. Asthma, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis (oft Rheuma genannt), Morbus Bechterew, Schuppenflechte (Psoriasis), die Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa und die Krankheit Lupus erythematodes, die sich u.a. durch Gelenkschmerzen, Hautrötung und Nierenschäden bemerkbar macht. Da sich die Krankheitsprozesse auf der Ebene der Moleküle ähnlich sind, ist meist dasselbe Medikament gleich gegen mehrere Erkrankungen wirksam, was aber für jede Krankheit in eigenen Studien geprüft werden muss. Es hat sich bewährt, solche Krankheiten zu lindern und ihnen einen milderen Verlauf zu geben, indem man die Kommunikation zwischen verschiedenen Immunzellen unterbindet und dazu beispielsweise den Botenstoff TNF α abfängt. Bei den meisten laufenden Projekten werden nun andere Kommunikationswege zwischen Immunzellen unterbrochen.

Gleich acht Projekte gelten der Behandlung der Multiplen Sklerose mit Medikamenten, die auf neuartige Weise Krankheitsschübe wirksamer unterdrücken sollen oder die leichter anwendbar sind als die bisher verfügbaren Präparate.

Infektionskrankheiten
38 Projekte dienen der Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten. Weitere Fortschritte sind insbesondere für die Therapie der chronischen Virusinfektion Hepatitis C zu erwarten. So versuchen mehrere Unternehmen, die bisher in den Medikamentencocktails unverzichtbaren Interferonpräparate durch Mittel vergleichbarer Wirksamkeit, aber weniger belastenden Nebenwirkungen zu ersetzen. Insgesamt könnten bis zu zehn Medikamente bis 2017 herauskommen.

Für die HIV-Therapie sind fünf weitere Medikamente in Entwicklung, darunter eines, bei dem alle für die Virusbekämpfung nötigen Wirkstoffe in einer Tablette vereinigt wurden.
Gegen Tuberkulose (TB) sind – erstmals seit den 1960er Jahren – wieder neue Medikamente zu erwarten: gleich vier könnten bis 2017 kommen. Sie werden dringend gebraucht, denn mehrfach resistente Stämme dieser bakteriellen Infektionskrankheit breiten sich in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch im Osten Europas zunehmend aus; und die Heilung erfordert, selbst wenn keine Resistenzen zu überwinden sind, bislang eine mindestens sechsmonatige, belastende Kombinations- therapie. Ziel eines der Projekte ist es deshalb, diese Dauer um zwei Monate zu verkürzen.

Gegen andere bakterielle Infektionen könnten bis 2017 durch vfa-Firmen fünf therapeutische Medikamente herauskommen, davon zwei Antibiotika mit neuen Wirkstoffen und ein Antikörper-Präparat. Ein Medikament davon richtet sich ausdrücklich auch gegen Bakterien des Typs „gramnegativ", gegen den derzeit besonders intensiv neue Behandlungsmöglichkeiten gesucht werden.

Impfungen könnten bald vor drei weiteren Infektionskrankheiten schützen: So soll ein Impfstoff Organtransplantierte vor Cytomegalie-Viren (CMV) schützen, die bei ihnen u.a. Lungenentzündung hervorrufen können. Ferner wird ein Impfstoff getestet, der laut Studienergebnissen vor mehreren Stämmen von Dengue-Fieber-Viren schützen kann; diese verursachen in den Tropen und Subtropen eine grippeähnliche Erkrankung mit zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen. In Afrika wird ein Malaria-Impfstoff für Kleinkinder erprobt, der das Risiko eines lebensbedrohlichen Krankheitsverlaufs um mindestens ein Drittel senken soll.

Auch zur Behandlung der Malaria könnten zwei neue Medikamente verfügbar werden; eins davon ist speziell auf die Erregerart Plasmodium vivax abgestimmt, die vor allem in Asien, Ozeanien, Mittel- und Südamerika vorkommt.

Gegen die echte Grippe (Influenza) dürften schon ab kommendem Herbst verbesserte Impfstoffe herauskommen, die gegen vier (statt bisher drei) verschiedene Erregerstämme immunisieren.

Herz-Kreislauf-Krankheiten
Herz-Kreislauf-Krankheiten sind Todesursache Nummer 1 in Deutschland mit etwa 342.000 Toten im Jahr 2011; von diesen starben 55.000 Menschen an einem akuten Herzinfarkt und fast 72.000 an einem Schlaganfall (einschließlich aller Formen von Hirninfarkt und -blutungen). Nachdem in den letzten Jahren vor allem die Prävention und Thrombosen im Vordergrund standen, zielen nun fünf der insgesamt 25 Projekte darauf, Gefäßschäden zu vermeiden, die durch Störungen im Cholesterintransport verursacht werden. Zudem richten sich vier Projekte auf die Linderung verschiedener Formen des seltenen Lungenhochdrucks, der unbehandelt lebensbedrohlich sein kann. Der besseren Behandlung der akuten und der chronischen Herzinsuffizienz gilt jeweils ein Projekt. Hingegen befinden sich zur Blutdrucksenkung (für die es bereits vielfältige Behandlungsmöglichkeiten gibt) keine weiteren Medikamente in fortgeschrittener Erprobung.

Diabetes Typ 2
Schon rund 7 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes Typ 2, dem sogenannte Altersdiabetes; und jährlich kommen weitere Betroffene hinzu. Diese Erkrankung, die den gesamten Organismus betrifft, aber insbesondere am außer Kontrolle geratenen Blutzuckerspiegel zu erkennen ist, führt oft zu Folgeeffekten wie Herz-Kreislauf- und Nierenkrankheiten sowie Erblindung und Amputationen. Gleich in elf Projekten wird nach besseren Möglichkeiten der Blutzuckerkontrolle gesucht. Einer der neuen Wirkstoffe ist imstande, in der Bauchspeicheldrüse auf neuartige Weise die Ausschüttung des blutzuckersenkenden Hormons Insulins zu verstärken, wenn dieses gebraucht wird; dafür bindet er sich an den sogenannten Rezeptor GPR40 auf den Insulin-bildenden Zellen. Dazu kommen noch vier Projekte gegen Folgewirkungen von Diabetes wie Augen- und Nierenschäden.

Neurodegenerative Erkrankungen
Bei acht Projekten geht es um neurodegenerative Erkrankungen. Diese treten in Deutschland aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung immer häufiger auf: So leiden schon etwa 800.000 Menschen an Alzheimer-Demenz und etwa 120.000 an der Parkinson-Krankheit. Vier Medikamente werden daraufhin getestet, ob sie die Alzheimer Demenz wirksamer hinauszögern können als die bisherigen. Dazu sollen sie beispielsweise Ablagerungen zwischen den Nervenzellen verhindern. Vier Projekte dienen der Behandlung der Parkinson-Krankheit.

Das sind weniger Projekte, als es die enormen Anstrengungen in der Laborforschung der Pharmafirmen erwarten lassen. Leider mussten in den letzten Jahren viele Projekte bereits in den Phase I oder II beendet werden, weil sich nicht die erhoffte Wirkung – etwa eine Besserung der beeinträchtigten Gedächtnisleistung – einstellte.

Psychische Erkrankungen
15 Projekte beschäftigen sich mit psychischen Erkrankungen, darunter vier mit Depressionen und sechs mit Schizophrenie. Für beide Erkrankungen besteht großer Bedarf an noch wirksameren und zugleich nebenwirkungsärmeren Medikamenten. Denn in Deutschland leiden vier Millionen Patienten an einer behandlungsbedürftigen Depression und jeder Hundertste an Schizophrenie. Unter anderem hat ein erstes von dem Narkose-Mittel Ketamin abgeleitetes Antidepressivum die Phase III erreicht. Mittel dieser Klasse sollen auch bislang behandlungsresistente Depressionen lindern.

Seltene Krankheiten
Insgesamt 42 Projekte (13%) haben in der Europäischen Union den Orphan-Drug-Status erhalten, weil sie die Therapie von seltenen Krankheiten (den orphan diseases) erstmals ermöglichen oder signifikant verbessern könnten. 'Selten' bedeutet, dass nicht mehr als ein EU-Bürger von 2.000 darunter leidet: Am Syndrom des fragilen X-Chromosoms das mit geistigen Behinderungen und Sprachstörungen einhergeht – leiden beispielsweise in Deutschland um die 20.000 Menschen; rund 2.500 Patienten sind es bei der angeborenen, muskelschädigenden Duchenne-Muskeldystrophie. Gegen beide bisher nicht gezielt therapierbare Krankheiten sind Medikamente in Entwicklung. Die Mehrzahl der Orphan Drugs aber, die bis 2017 zugelassen werden könnten, sind für Patienten mit seltenen Arten von Krebs gedacht, etwa Bauchspeicheldrüsen- oder Leberkrebs.

Fortschritte für Frauen, Männer und Kinder
Die weitaus meisten Projekte betreffen Krankheiten, die bei Männern wie Frauen auftreten. An den Studien sind deshalb auch Patienten beiderlei Geschlechts beteiligt.

18 Projekte (6%) gelten speziell der Frauengesundheit: Krebserkrankungen von Brust, Eierstock, Gebärmutterhals oder -schleimhaut, dazu Endometriose, Wechseljahresbeschwerden und Osteoporose. Berücksichtigt man noch Multiple Sklerose und Lupus, die überwiegend bei Frauen auftreten, sind es sogar 9%.
11 Projekte (3%) werden ausschließlich oder fast ausschließlich für männliche Patienten durchgeführt: Sechs betreffen Prostatakrebs, eins die gutartige Prostatavergrößerung, die übrigen Formen von Hämophilie (die angeborene Blutgerinnungsschwäche, die fast nur bei Männern auftritt).

Bei fast der Hälfte der Projekte (138; 43%) steht heute schon fest, dass die Medikamente auch für Minderjährige erprobt werden; bei 54 Projekten laufen diese Studien bereits. In der Mehrzahl der Fälle dürfte die Zulassung für Minderjährige allerdings erst nach 2017 erfolgen. Für weitere Medikamente in dieser Erhebung muss erst noch bei der EU-Arzneimittelbehörde entschieden werden, ob diese auch für Minderjährige entwickelt werden sollen. Dass nicht noch mehr Projekte auch Kinder und Jugendliche einbeziehen, liegt am hohen Stellenwert, den Krankheiten des mittleren und vorgerückten Alters in der Pharmaforschung haben: etwa Brust-, Darm- und Prostatakrebs oder Alzheimer. Sie kommen bei Minderjährigen nicht vor. Die derzeit laufenden Projekte für Kinder und Jugendliche dürften unter anderem Lücken im therapeutischen Sortiment zur Behandlung von Thrombosen, schweren Schmerzen, Leukämien, Erbkrankheiten und bakteriellen Infektionen schließen helfen. Zudem dürften Kindern weitere Impfstoffe zu Gute kommen, etwa gegen Grippe.


Personalisierte Medizin
Es ist ein alte Erfahrung, dass manche Patienten auf ein bei vielen Menschen bewährtes Medikament nicht oder nur mit erheblichen Nebenwirkungen ansprechen. Dafür werden vielfach genetische Unterschiede zwischen den Patienten (seltener auch Unterschiede in ihrer medizinischen Vorgeschichte) als Ursache vermutet; für einige Medikamente ist das inzwischen auch schon bestätigt, und ein entsprechender Vortest empfohlen bzw. vorgeschrieben (vgl. www.vfa.de/personalisiert).

Bei 37% der hier erfassten Projekte wird begleitend nach messbaren zellulären, molekularen oder genetischen Eigenheiten der Patienten gesucht (sogenannten Biomarkern), an denen sich die Wirksamkeit und/oder Verträglichkeit der betreffenden Medikamente im Einzelfall vorhersagen lässt. Bei 111 dieser 121 (92%) dieser Projekte sind auch deutsche Kliniken beteiligt.

Ziel der Forschung ist, dem Arzt „Tandems" aus Medikament und geeignetem Vortest anbieten zu können, damit er im Rahmen der Personalisierten Medizin seine Therapieentscheidungen auf eine solide Grundlage stellen und erfolglose Behandlungsversuche vermeiden kann. Sicherlich wird nur aus einem Teil der Biomarker-Suche letztendlich ein solches Tandem resultieren. Doch dürften diese im Behandlungsalltag stetig an Bedeutung gewinnen.


Die neuen Wirkstoffe
Das Herzstück jedes Medikaments ist sein Wirkstoff, also der Stoff, der im Körper die heilende, lindernde oder vorbeugende Wirkung erzielt. 65% der Projekte mit „Perspektive 2017" basieren auf neuen Wirkstoffen (im Fachjargon: new molecular
entities, NMEs), das heißt Wirkstoffen, die noch nie zuvor Bestandteil eines in Deutschland zugelassenen Medikament waren. Die 168 NMEs, die in der Erhebung ermittelt wurden, lassen sich nach ihrer Herstellungsart wie folgt unterscheiden:

Chemisch hergestellte Wirkstoffe
Auch in Zukunft dürfte die chemisch-synthetische Herstellung dominieren, denn 105, d.h. 63% der in der Umfrage genannten neuen Wirkstoffe werden so produziert (2011: 65%). Anders als gentechnische Wirkstoffe lassen sie sich meist zu Tabletten oder Kapseln verarbeiten, die leicht einzunehmen sind.

Pharmaforscher nennen chemisch erzeugte Wirkstoffe gerne small molecules – kleine Moleküle –, sind sie doch mit meist weniger als 100 Atomen deutlich kleiner als gentechnisch hergestellte Wirkstoffe (von denen die Insuline mit rund 790 Atomen mit die kleinsten, Antikörper mit rund 20.000 Atomen die größten sind). Dank erheblicher Fortschritte in der Chemie ist es allerdings nicht länger eine Frage des Könnens, sondern allein der Wirtschaftlichkeit, dass nicht auch etliche „große" Wirkstoffe chemisch produziert werden. Der derzeit größte chemisch synthetisierte Wirkstoff mit atomgenau festgelegtem Aufbau ist Corticorelin mit 658 Atomen. Noch größer sind ein paar synthetische Polymerwirkstoffe wie Glatirameracetat, doch ist bei ihnen die Struktur nicht atomgenau festgelegt.

Gentechnische Wirkstoffe
Im Mai 2013 wurden rund 5% aller schulmedizinischen Wirkstoffe (laut Arzneimittelverzeichnis Rote Liste) gentechnisch hergestellt (laufend aktualisiertes Verzeichnis: www.vfa.de/gentech).
Ihr Anteil dürfte wachsen, denn an den neuen Wirkstoffen mit „Perspektive 2017" haben die 53 gentechnischen schon einen Anteil von 31% (2011: 28%). Fast alle gentechnischen Präparate müssen gespritzt oder als Infusion verabreicht werden; nur ein Präparat wird inhaliert.
Gleich 28 der kommenden gentechnischen Wirkstoffe sind monoklonale Antikörper, die von Molekülen des Immunsystems abgeleitet sind. Sie heften sich gezielt an bestimmte Moleküle oder Zellen des menschlichen Körpers, inaktivieren sie und veranlassen, dass das Immunsystem sie beseitigt. Bis 2017 könnte sich damit die Zahl zugelassener monoklonaler Antikörper mehr als verdoppeln.
Gentechnik ermöglicht auch die Herstellung von Antigenen (den immunisierenden Bestandteilen) von neuen Impfstoffen, die mit herkömmlichen Methoden nicht verwirklicht werden konnten, etwa gegen Malaria oder Dengue-Fieber.

Natürliche Antigene
Weiterhin werden aber auch Impfstoffe entwickelt, deren Antigene direkt aus den Erregern gewonnen werden, vor denen sie schützen sollen. Neue Antigene dieses Typs finden sich in zwei Impfstoffen, die bis 2017 herauskommen könnten.

Naturstoffe und semisynthetische Wirkstoffe
Als Wirkstoffe kommen schließlich auch Stoffe in Betracht, die aus Bakterien, Pilzen, Pflanzen oder Tieren gewonnen werden, die sie natürlicherweise (also ohne gentechnische Veränderung) selbst bilden – sogenannte Naturstoffe. Ebenso lassen sich Wirkstoffe durch chemische Abwandlung solcher Naturstoffe erzeugen; sie heißen dann semisynthetische Stoffe. Natur- und semisynthetische Stoffe werden aufgrund ihrer Größe in den meisten Fällen den small molecules zugerechnet. Bei den kommen
den Medikamenten spielen sie allerdings nur eine untergeordnete Rolle: Gerade einmal fünf (3%) der neuen Wirkstoffe werden so hergestellt. Ein Beispiel ist das semisynthetische Krebsmedikament Vintafolid, das auf einem Pflanzenstoff basiert.
Manchmal versuchen Pharmaforscher auch, die Natur als Inspirationsquelle für Wirkstoffe zu nutzen, die sie dann aber chemisch erzeugen. So ist es beispielsweise bei dem Malaria-Wirkstoff Tafenoquine, dessen chemische Struktur an das fast 200 Jahre alte Malaria-Mittel Chinin aus einer Baumrinde erinnert.

Medikamente auf Basis von Zellen
Drei der Medikamente mit neuem Wirkstoff basieren auch auf lebenden Zellen, die dem Patienten zunächst entnommen und dann – ggf. nach einer gezielten gentechnischen Veränderung im Labor vermehrt und wieder zugeführt werden. Dieser Ansatz dient vor allem der Krebsbekämpfung (s. oben).


Neuer Einsatz für bekannte Wirkstoffe
Fortschritt findet nicht nur durch neue Wirkstoffe statt. Ebenso wichtig sind neue Darreichungsformen, die einen bekannten Wirkstoff noch wirksamer oder verträglicher machen oder seine Anwendung auf neue Altersgruppen oder Krankheiten erweitern. Hilfreich für Patienten sind auch Präparate, in denen häufig zusammen verordnete Wirkstoffe in einem Medikament vereinigt werden. Bis zu 45 solcher Neuerungen – sie heißen auch galenische Innovationen – sollen bis 2017 auf den Markt kommen. Beispiele sind zwei inhalierbare Antibiotika speziell für Patienten mit bakteriellem Lungenbefall. Je ein neues Präparat gegen HIV und Hepatitis C vereint die nötigen Wirkstoffe in derselben Tablette. Gleich in mehreren Fällen erproben Firmen Versionen ihrer Medikamente, die den Wirkstoff im Darm besonders langsam freisetzen und so eine weniger häufige Einnahme und eine wirksame Therapie mit geringeren Wirkstoffmengen ermöglichen.