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Die neue EU-Verordnung zu klinischen Studien: Was sagt der vfa?


Interview mit Birgit Fischer, der Hauptgeschäftsführerin des vfa


Worum geht es bei der Clinical Trials Regulation, also der Verordnung zu klinischen Studien, die am 2. April 2014 im EU-Parlament verabschiedet wurde?

Birgit Fischer: In klinischen Studien werden Behandlungsmethoden untersucht; dabei werden in der Regel zwei oder drei Behandlungsweisen verglichen. Auf diese Weise kann insbesondere ein noch nicht zugelassenes Medikament erprobt werden, es können aber auch beispielsweise zwei zugelassene Medikamente verglichen werden. An der Erprobung wirken auf freiwilliger Basis Gesunde oder Patienten mit. Sind es Patienten, finden die Studien in Kliniken oder Arztpraxen statt, mit denen der Auftraggeber der Studie kooperiert - oft in mehreren Ländern zugleich.

Eine Studie kann aber erst beginnen, wenn die Arzneimittelbehörden und Ethik-Kommissionen aller beteiligten Länder zugestimmt haben. Und da sind wir beim Kern der neuen Verordnung: Sie sorgt für ein neues Genehmigungsverfahren für klinische Studien.


Was wird sich ändern?

Fischer: Bisher muss der Hersteller die Durchführungsgenehmigung für eine Studie bei den Behörden und Ethik-Kommissionen jedes beteiligten Landes getrennt einreichen; mit einem eigenen Formular, in der jeweiligen Landessprache und je nach Land mit anderen beizufügenden Unterlagen. Jede Änderung am Studienplan in Reaktion auf Wünsche aus einem Land muss der Antragsteller dann wieder mit den anderen Ländern abstimmen. Alles muss mit allen abgestimmt werden. Es kann daher lange dauern, bis auf diese Weise schließlich alle Behörden und Ethik-Kommissionen mit dem Studienplan zufrieden sind. Weiterhin sind die Fristen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich, so dass die Verfahren nicht parallel laufen können.

Künftig wird für die EU pro Studie ein zentraler Antrag genügen. Dieser wird vom Pharma-Unternehmen über ein Online-Portal bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA eingereicht, zusammen mit einer Liste der EU-Länder, aus denen Kliniken oder Arztpraxen mitwirken sollen.

Die weitere Bearbeitung des Antrags findet dann bei den Arzneimittelbehörden der beteiligten Länder und den landesspezifischen Ethik-Kommissionen statt, in Teilen koordiniert von der Arzneimittelbehörde eines der vorgesehenen EU-Mitgliedstaaten. Der Hersteller bekommt schließlich eine Gesamtbewertung zurück, in der auch Anforderungen für eine Erweiterung und Änderung des Studienplans enthalten sein können.

Auf diese Weise wird es definitiv einfacher, eine Studie in mehreren EU-Ländern zugleich zu beantragen.


Das ist natürlich interessant für die Antragsteller und die beteiligten Kliniken. Die EU-Kommission sagt aber, das brächte auch wirtschaftliche Vorteile für die EU. Stimmt das?

Fischer: Deutschland und einige andere EU-Länder sind beliebt für die Durchführung klinischer Studien, Deutschland ist sogar die weltweite Nummer 2 nach den USA. Mit dem neuen Genehmigungsverfahren dürfte die Attraktivität der EU-Region für klinische Studien insgesamt steigen. Damit schafft es die EU, dass viele ihrer medizinischen Einrichtungen an vorderster Front des medizinischen Fortschritts dabei sind, was natürlich auf die medizinische Versorgung insgesamt positiv ausstrahlt. Denn damit erhalten Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, sehr frühzeitig mit neuen Therapieoptionen behandelt zu werden.

Es hat aber in der Tat auch einen wirtschaftlichen Aspekt: Die Durchführung klinischer Studien ist teuer, und damit verbleibt künftig vielleicht mehr von solchen Ausgaben im EU-Raum.


Obwohl die Verordnung nun verabschiedet ist, soll sie erst ab frühestens Mitte 2016 wirksam werden. Wieso ein so langer Vorlauf?

Fischer: Das neue Genehmigungsverfahren wie auch die Studien-Durchführung und anschließende Dokumentation sind zwingend auf das Online-Portal der EMA angewiesen. Das gibt es aber noch gar nicht; es muss erst noch konzipiert, programmiert und getestet werden. Man sollte annehmen, dass die Zeit bis Mitte 2016 dafür ausreicht; allerdings sieht die Verordnung ausdrücklich vor, den Start für das neue Antragsverfahren nötigenfalls so lange zu verschieben, bis das Portal den Tauglichkeitstest bestanden hat.


Bei einem früheren Entwurf der Verordnung wurde kritisiert, dass er die Entscheidungskompetenz der Ethik-Kommissionen beschnitten hätte.

Fischer: Glücklicherweise wurde das berichtigt! In der verabschiedeten Verordnung ist es ausdrücklich vorgesehen, dass ein Land nur bei einer Studie dabei ist, wenn auch seine Ethik-Kommission zugestimmt hat. Kein Votum einer Ethik-Kommission kann durch andere Voten „übergangen“ werden. Dafür haben der Gesundheitsausschuss des EU-Parlaments und der Gesundheitsministerrat als Vertretung der EU-Mitgliedstaaten gesorgt; und Einwände deutscher Ärzteorganisationen, des Bundestags und auch des vfa haben dazu beigetragen. Denn auch die Pharma-Unternehmen sind an der Mitwirkung der Ethik-Kommissionen bei der Beurteilung von klinischen Studien sehr interessiert, weil dies von der internationalen Studienleitlinie ICH-GCP [d.h. der Leitlinie „Good Clinical Practice“ des International Conference on Harmonisation of technical requirements for registration of pharmaceuticals for human use; die Redaktion] verlangt wird. Und das ist die „Bibel“ der Pharmafirmen für die Studiendurchführung.

Denn nur ICH-GCP-konforme Studien werden von den Zulassungsbehörden in den USA, in Europa, in Japan und vielen weiteren Ländern akzeptiert. Eine Studie, die auf nicht ICH-GCP-konforme Weise genehmigt wurde, ist folglich für die Firmen wertlos.


Die Verordnung enthält auch einen Passus über „Cluster-Studien“, bei denen in Kliniken eines Landes zugelassene Behandlungsweisen verglichen werden. Bei solchen Studien sollen Patienten wie gewohnt vor der Teilnahme über die Studie aufgeklärt werden, aber dann soll gelten, dass jeder automatisch teilnimmt, der das nicht aktiv ablehnt.

Fischer: Davon halten wir im vfa gar nichts! Allein, dass es so eine Option gibt, könnte das Vertrauen der Bevölkerung in klinische Studien belasten, und das darf nicht sein! Für Pharma-Unternehmen kommen solche Studien auch überhaupt nicht in Betracht; denn ihre Studien müssen, wie gesagt, ICH-GCP genügen; und darin steht, dass das Prinzip „informed consent“ uneingeschränkt gilt: Patienten werden zuerst über die Studie informiert und entscheiden dann, ob sie teilnehmen wollen; wer nicht für sich selbst entscheiden kann, für den entscheidet ein Vormund!


Was sagt die Verordnung über den „consent“ von Minderjährigen?

Fischer: Hier wurde der Standard für die ganze EU in etwa auf das deutsche Niveau gehoben. Der Wille eines Minderjährigen darf nun nirgendwo in der EU mehr übergangen werden: Jugendliche ab 12 Jahren müssen ihrer Teilnahme selbst ausdrücklich zustimmen – zusätzlich zu den Elternteilen, die das Sorgerecht haben. Bei Kindern unter 12 Jahren muss neben der Entscheidung der Eltern auch der „mutmaßliche Wille“ des Kindes berücksichtigt werden.


Die Verordnung erweitert auch die Pflichten für Unternehmen, die Ergebnisse nach der Studie offen zu legen. Was soll anders werden?

Fischer: Schon seit Jahren ist geregelt, dass die zusammengefassten Ergebnisse aller klinischen Studien öffentlich gemacht werden müssen – ob sie nun positiv, negativ oder uneindeutig sind. Weil diese Zusammenfassungen aber für Laien schwer zu verstehen sind, sollen laut Verordnung künftig zusätzlich für Laien verständliche Zusammenfassung der Ergebnisse veröffentlicht werden. Der Verordnungsentwurf sieht nun zusätzlich vor, dass auch die Clinical Study Reports veröffentlicht werden müssen, also die ausführlichen klinischen Studienberichte, die vom Studiensponsor für die Zulassungsbehörden angefertigt werden. Schon 30 Tage, nachdem positiv oder negativ über die Zulassung des untersuchten Medikaments entschieden oder das Studienprojekt eingestellt wurde, soll man diese Reports lesen können.

Die Informationen über eine Studie in einem Clinical Study Report mit seinen typischer¬weise mehreren tausend Seiten sind weitaus ausführlicher als in einem Ergebnisbericht von einstelliger Seitenzahl. Ein solcher Report ist allerdings immer noch kürzer als die gesammelten Einzeldaten aller Patienten – die können mehr als 100.000 Seiten füllen!


Wie bewerten Sie diese erweiterte Transparenzpflicht?

Fischer: Die obligatorischen Laien-verständlichen Ergebniszusammenfassungen finde ich eine ausgesprochen gute Idee! Auch die Veröffentlichung der Clinical Study Reports ist akzeptabel; der Schutz von Patientendaten ist nicht tangiert, weil ja keine Einzeldatensätze publiziert werden.

Diese hier geforderte Transparenz ist noch einmal zu unterscheiden von den noch weitergehenden Transparenz-Plänen, die an anderer Stelle vorangetrieben werden: nämlich die Weitergabe kompletter Studienakten mit Behandlungsrohdaten von jedem Teilnehmer – natürlich nur nach Pseudonymisierung – an Wissenschaftler, die eine Zweitauswertung der Daten beabsichtigen. Auch einer so weitgehenden Transparenz kann die Industrie unter bestimmten Bedingungen zustimmen; allerdings nur, wenn dabei bestimmte Regeln eingehalten werden. Das ist nötig, um sicherzustellen, dass die Daten wirklich keinem konkreten Patienten mehr zugeordnet werden können, und keine andere Firma die Daten dazu missbrauchen kann, irgendwo in der Welt eine vorzeitige Zulassung für ein Generikum zu erwirken – also eine Zulassung, bevor das die dortigen Bestimmungen für Rechte am Geistigen Eigentum eigentlich vorsehen.

Dass sich dafür geeignete Regeln und Gremien tatsächlich schaffen lassen, zeigen die Beispiele mehrerer Firmen, bei denen sich bereits neu gegründete Review Boards um Anfragen nach Studienrohdaten kümmern und die Weitergabe, wo es möglich ist, ermöglichen.

Diese Firmen entsprechen damit einer Initiative unseres europäischen Pharma-Dachverbands EFPIA. Er hat zusammen mit dem US-amerikanischen Pharmaverband PhRMA klare Regelungen formuliert, wie Anfragen nach Weitergabe von Rohdaten gehandhabt werden können. Ich hoffe, dass bald immer mehr Firmen ihre Daten so nutzbar machen, denn das trägt zur Vertrauensbildung bei.