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Klinische Studien zur Erprobung neuer Medikamente

Mehr als 13 Jahre dauert es meist von der Idee für eine neue Behandlung bis zum zugelassenen Medikament – länger als von der Einschulung bis zum Abitur. Und der Weg hat viele Etappen. Die ersten finden in Labors statt: Wir werden die Wirkstoffe erfunden, die zu dem geplanten Eingriff ins Krankheitsgeschehen imstande sind. Danach folgen Tests mit Zellkultur und mit Tieren, um alle neuen Wirkstoffe auszumustern, die möglicherweise giftig oder auf andere Weise gefährlich sein könnten.

Wenn dann ein Wirkstoff alle Labortests positiv abgeschlossen hat, kann er mit Menschen erprobt werden. Das geschieht in klinischen Studien, erst mit Gesunden, später mit Patienten.

Die Erprobung mit Menschen gliedert sich grundsätzlich in drei Phasen:
• Phase I - Erprobung mit wenigen Gesunden (den Probanden)
• Phase II - Erprobung mit wenigen Kranken
• Phase III - Erprobung mit vielen Kranken

Jede dieser Phasen dauert in aller Regel mindestens ein Jahr, meist länger. Danach kann bei guten Ergebnissen die Zulassung des betreffenden Medikaments beantragt werden. Die Studien heißen „klinische Studien", und das auch dann, wenn sie gar nicht in Kliniken, sondern bei niedergelassenen Ärzten durchgeführt werden; das ist jedoch eher die Ausnahme.

Pharma-Unternehmen planen und organisieren ihre Studien selbst oder beauftragen damit Clinical Research Organisationen (CROs). Diese auf klinische Studien spezialisierten Firmen kümmern sich dann in enger Abstimmung mit ihrem Auftraggeber um die Organisation, Durchführung und auf Wunsch auch die Auswertung der Studien. Viele sind international tätig, weil an den meisten Studien medizinische Einrichtungen aus mehreren Ländern zugleich mitwirken.

Für jede Studie ist die Zustimmung der zuständigen nationalen Behörde(n) und der Ethik-Kommissionen nötig. Ethik-Kommissionen bestehen aus erfahrenen Medizinern, Theologen, Juristen und Laien. Sie wägen (u.a. gestützt auf die vorangegangenen Untersuchungen) ab, ob und unter welchen Auflagen die geplante Studie aus ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht durchgeführt werden kann. Sie achten dabei insbesondere auf den Schutz der Teilnehmer. Sie prüfen auch, ob die medizinischen Einrichtungen und ihre Ärzte, die an der Studie mitwirken wollen, für die Studie geeignet sind.

Jeder an der Teilnahme interessierte Proband (gesunder Freiwilliger) oder Patient muss umfassend über die geplante Studie und mögliche Risiken informiert werden. Wer sich daraufhin zur Teilnahme entschließt, gibt schriftlich sein Einverständnis (informed consent), das er aber jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen kann. Sollte es während der klinischen Studie zu unvertretbaren Nebenwirkungen kommen oder sich ungenügende Wirksamkeit zeigen, wird die Studie abgebrochen.


Phase I: Erste Erprobung mit Gesunden

In Phase I wird der neue Wirkstoff zunächst mit gesunden Freiwilligen getestet, den Probanden. Weil sie gesund sind, lässt sich mit ihnen natürlich nicht feststellen, ob der Wirkstoff lindern oder heilen kann. Vielmehr wird geprüft, ob sich die Vorhersagen aus den Tierversuchen darüber bestätigen, wie schnell der Wirkstoff ins Blut gelangt, wie lange er dort verweilt, wie er im Körper umgewandelt wird und wie schnell und auf welchem Weg er den Körper wieder verlässt (davon hängt beispielsweise ab, wie häufig der Wirkstoff später für eine Behandlung angewendet werden muss). Es wird auch genau registriert, wie gut der Wirkstoff vertragen wird. Die Probanden erhalten ein Honorar. Im Verlauf der Phase I wirken typischerweise 60 bis 80 Probanden mit.

Damit das Risiko für die Probanden minimiert ist, dürfen neue Wirkstoff anfangs nur in einer Dosis getestet werden, die weit unterhalb von der liegt, die später einmal in einem Medikament enthalten sein soll. Ärzte begleiten die Probanden, die Blutdruckmesser und EKG tragen, bei der Einnahme und danach. Sie beobachten engmaschig das Befinden des Probanden. Sollten Symptome auftreten, beenden sie den Test sofort und behandeln nötigenfalls die Reaktionen.

Erst in nachfolgenden Studien der Phase I wird dann die Dosis des neuen Wirkstoffs allmählich gesteigert. Wieder werden die Probanden bei den Tests intensiv ärztlich überwacht; und bei Problemen wird die Behandlung der Probanden sofort beendet. Sollte sich dabei abzeichnen, dass ein Wirkstoff in den für eine Behandlung nötigen Konzentrationen nicht akzeptable Nebenwirkungen hervorruft, wird das ganze Entwicklungsprogramm eingestellt.

Dank dieser (auch gesetzlich vorgeschriebenen und behördlich überwachten) Vorsichtsmaßnahmen erleben Teilnehmer eine Phase-I-Studie fast immer keine oder nur geringe Symptome. Dass es zu problematischen körperlichen Reaktionen kommt, ist eine extrem seltene Ausnahme.


Tablette oder Spritze?

Aufbauend auf den Daten aus den Phase-I-Studien entwickeln sogenannte Galeniker die Darreichungsform, mit der aus dem Wirkstoff das eigentliche Medikament wird. Am häufigsten ist das eine Tablette; in Betracht kommen aber auch eine Kapsel, eine Injektions- oder Infusionslösung, eine Salbe oder Creme, ein inhalierbares Aerosol, ein Wirkstoffpflaster, ein Granulat zur Bereitung einer Trinklösung und viele andere Formen, welche vor der Zulassung der Medikamente bestimmt werden.

Die Darreichungsform trägt maßgeblich dazu bei, wie schnell und zuverlässig ein Wirkstoff die Stellen des Körpers erreicht, an denen er wirken soll. Sie kann ihm Geleitschutz geben, beispielsweise vor der Zerstörung durch den Magensaft bewahren, oder ihm Türen in den Körper öffnen, etwa die Haut unter einem Wirkstoffpflaster durchlässig machen. Manche Darreichungsformen mindern Nebenwirkungen oder sorgen dafür, dass der Wirkstoff nach der Einnahme des Medikaments nicht sogleich, sondern über viele Stunden verteilt ins Blut übertritt. Oft ist die Entwicklung der endgültigen Kombination von Wirkstoff und Hilfsstoffen ähnlich kompliziert wie die Erarbeitung des Wirkstoffs selbst.


Phase II und III: Erprobung mit Patienten

In Phase II werden erstmals Patienten einbezogen; Hersteller bzw. CROs kooperieren dazu mit Kliniken und anderen medizinischen Einrichtungen. Deren Ärzte sprechen dann Patienten auf die Möglichkeit einer Studienteilnahme an und führen auch die Behandlungen im Rahmen der Studien durch. Typischerweise wirken 100 bis 500 Patienten an einer Phase-II-Studie mit. Es wird zum einen geprüft, ob sich der gewünschte Behandlungseffekt zeigt. Zum anderen wird auf Nebenwirkungen geachtet und festgestellt, welche Dosierung am besten geeignet ist.

In Phase III erproben Ärzte das Arzneimittel dann an tausenden von Patienten, um zu sehen, ob sich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auch bei vielen unterschiedlichen Patienten bestätigen lassen. Dabei werden auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten untersucht.

Bei Phase-II- und Phase-III-Studien werden stets unterschiedlich behandelte Patientengruppen verglichen. Typischerweise erhält eine Gruppe das neue Medikament, eine andere das bisherige Standardpräparat. In anderen Fällen erhalten beide Gruppen die gleiche medikamentöse Grundbehandlung, wobei eine Gruppe zusätzlich das neue Medikament erhält, die andere eine Nachbildung des neuen Medikaments ohne Wirkstoff, ein sogenanntes Placebo. Solche vergleichenden Studien heißen auch kontrollierte Studien.

Wenn möglich, werden dabei die Patienten nach dem Zufallsprinzip (Ärzte sprechen von randomisiert) auf die beiden Gruppen verteilt. Wissen weder die Patienten noch die behandelnden Ärzte, wer letztlich welcher Gruppe zugeteilt wurde, heißen solche Studien doppelblind. Die Medikamentenpackungen tragen dann nur Codenummern, die in den Patientenakten vermerkt werden. Erst nach der Behandlung werden sie „dechiffriert" und die Ergebnisse von beiden Patientengruppen verglichen. Mit diesem Vorgehen soll vermieden werden, dass sich Hoffnungen oder Befürchtungen bezüglich der Medikation auf das Behandlungsergebnis auswirken.


Zulassungsverfahren

Erst wenn alle Studien der Phasen I bis III positiv abgeschlossen wurden, kann für das betreffende Medikament die Zulassung beantragt werden. Meist stellt der Hersteller diesen Antrag bei der European Medicines Agency, EMA. Diese Arzneimittelbehörde prüft dann in einem rund anderthalbjährigen Verfahren, ob das Medikament zugelassen werden kann.


Eine Übersicht über alle Phasen der Arzneimittelentwicklung findet sich hier:
https://www.vfa.de/embed/so-entsteht-ein-medikament.pdf